Beschreibung der Ostfriesischen Insel Borkum und deren Badeanstalt
Details
  • Autor:Georg Ripking
  • Erschienen in:FRISIA. Eine Zeitschrift zur Belehrung und Unterhaltung (Verlag Woortman, Emden)
  • Veröffentlichung:1843/44, Emden
  • Sprache:Deutsch
Verfügbarkeit
  • Urheberrecht:Gemeinfrei

Beschreibung der Ostfriesischen Insel Borkum und deren Badeanstalt ist ein Aufsatz des von 1838 bis 1849 auf Borkum praktizierenden Arztes Georg Ripking. Er wurde im Juni 1843 verfasst und zwischen Juli 1843 und Juni 1844 in neun Teilen in der Zeitschrift FRISIA veröffentlicht.

Darin beschreibt Ripking neben naturräumlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen der Insel und ihrer Bevölkerung auch die Anreise und die Möglichkeiten des Badeaufenthalts. Es ist die erste publizierte Schrift, die für den Ausbau der Insel zum Seebad wirbt. Ripking kündigt darin ferner eigene Maßnahmen zur Stärkung des Fremdenverkehrs, etwa ein Gastgeberverzeichnis und die erste Art einer medizinischen Kur, an.

Digitalisierter Volltext

Beschreibung
der Ostfriesischen Insel Borkum und deren Badeanstalt,
vom dortigen Arzte, dem Landchirurgus G. Ripking.

Vorwort.

Indem ich es wage, dem Publikum eine Beschreibung meines Wohnorts, der Ostfriesischen Insel Borkum, vorzulegen, so sehe ich zugleich ein, welchen Schwierigkeiten mein Vorhaben unterworfen ist. Meines Wissens ist noch Nichts über die Reize dieses schönen Eilandes dem Publikum durch den Druck bekannt gemacht worden. Ich konnte daher aus gedruckten Quellen wenig oder gar Nichts für meine Arbeit schöpfen. Nur die Geographieen von Ostfriesland sagen etwas über Borkum, jedoch meistens nur so viel, als durchaus über dasselbe in einer Erdbeschreibung gesagt werden muß.
Ich wohne nun bereits 5 Jahre auf der Insel, und hatte in dieser Zeit hinlängliche Muße, um über die Annehmlichkeiten derselben bei meinen häufigen Streifereien am Strande und im Innern der Insel Beobachtungen anzustellen; und auch mit andern Zuständen derselben bekannt zu werden. Weil sich nun überdies von Jahr zu Jahr die Anzahl der hiesigen Badegäste vermehrt, so hielt ich es für zweckmäßig, zum Besten derselben ein Gemälde des Eilandes und eine Schilderung von dessen früheren und jetzigen Zuständen in kurzen Umrissen zu entwerfen. Es soll besonders den Personen dienen, welche in der Ferne wohnen, und die Insel aus eigner Anschauung nicht kennen. Ich mußte daher für Solche in dem 1. Capitel, „Abfahrt von Emden“, etwas weitläuftig scheinen, welche jene interessante Seereise bereits gemacht haben; allein für diejenigen, welche das Annehmliche derselben nicht kennen, ja vielleicht noch nie eine Seereise unternommen haben, mußte ich wohl alles Merkwürdige auf jenem Ausfluge nach Borkum genau zu beschreiben suchen, weil man mir sonst mit Recht Mangel an Anschauungs- und Beschreibungsgabe vorwerfen könnte.
Schließlich bitte ich den gütigen Leser, einige Nachsicht mit diesen Erstlingen meiner Feder haben zu wollen. Ich liefere ja nur das, welches mir meine individuelle Beobachtung in die Feder dictirte, und bin keineswegs so vermessen, nur den Gedanken zu hegen, ein vollständiges Bild meines jetzigen Wohnorts gegeben zu haben. Gerne überlasse ich die Lösung dieser nicht ganz leichten Aufgabe einer, im Zeichnen der Natur und deren Schönheiten geübteren Feder, und werde mich höchst glücklich schätzen, wenn meine unbedeutende Arbeit einem spätern Schriftsteller über die Insel Borkum von einem, wenn auch noch so geringen, Nutzen sein wird.

Insel Borkum, im Juli 1843.G. Ripking.

1. Capitel.
Abfahrt von Emden.

Wenn man aus dem Fahrwasser der altehrwürdigen Stadt Emden mit der Fluth auf einem schnellsegelnden Schiffe in den Meerbusen Dollart, und, nachdem man diesen verlassen hat, dem Ausflusse des Ems-Stroms in die Nordsee folgend, etwas nach Nordwesten zu segelt, so erreicht man bei gutem Winde gewöhnlich binnen 3—6 Stunden da, wo sich die Ems in zwei Arme, Oster- und Wester-Ems genannt, theilt, die größte der an der Küste Ostfrieslands liegenden Inseln, Borkum genannt, welche zwischen jenen beiden Armen der Ems in der Mitte liegt.
Schon in weiter Ferne, bei der sogenannten Emshörn, einer Sandbank in der Ems, wenn noch die Gestade des Eilandes in dem duftigen Nebel verborgen liegen, und seine Umrisse sich undeutlich den sehnsüchtigen Blicken des vielleicht an der Seekrankheit Leidenden darstellen, erscheint am Horizonte als ein Riese der sich auf der Insel Borkum befindende hohe Leuchtthurm. Zur Rechten hat man die liebliche Küste Ostfrieslands, zur Linken die holländische Festung Delfsyhl und der Provinz Groningen fette Auen und Triften. Man erblickt freilich nicht, wie auf einem Ausfluge auf dem Rheine, hohe Gebirgsmassen mit zackigen Felsen, auf denen sich trotzige Ritterburgen der mittelalterlichen Vorzeit erheben, welche manchmal wie an dem nackten Gesteine zu hängen scheinen, und doch dem Alles zerstörenden Zahn der Zeit so manches Jahrhundert hindurch Trotz boten; man erblickt nicht, wie dort, jene romantischen Scenen, welche das Herz des Wanderers erfreuen und ihn an ein früheres, starkes Geschlecht erinnern, dessen Thaten noch immer von unsern Dichtern besungen werden. Hier schauet der Reisende nur einfache ländliche Scenen: In der Ferne hinter den Deichen ebene, grüne Fluren, hin und wieder eine Baumparthie, lieblich gegen das einfarbige Grün abstechende rothe Dächer und zuweilen die Spitze eines Kirchthurms, welcher wie der riesige Mast eines Schiffes in jenem ländlichen Gemälde hervorragt. Im Ganzen bildet diese Scene für das Auge einen sehr angenehmen und wohlthuenden Contrast, und stellt uns ein Bild der Ruhe und des Friedens dar; nur die hohen Wälle Delfsyhl's mahnen an Krieg und Verheerung. Hat man jedoch jenes kriegerische Bild hinter sich, so sieht man wegen der großen Breite des Ems-Stroms nur Ostfrieslands und des Groningerlands begrünte Deiche, und über jene Schutzwehren gegen die Wuth der rollenden Meereswogen gucken nur einzelne Thurmspitzen und Häuser hervor. In der Nähe und am fernsten Horizonte segeln stolz schwerbeladene Schiffe mit glänzend weißen Segeln dahin, groß und klein, und zeigen uns ein Bild des menschlichen Verstandes und Muths, die es vermogten, auf jenen gebrechlichen Maschinen zwei Elementen, dem Winde und den Fluthen des Meeres zu trotzen. Hin und wieder, besonders bei heiterem, schönem Wetter und ruhiger See taucht auch wohl ein spielender Delphin aus den Fluthen des Meeres empor, und schwimmt, Purzelbäume schießend, in respektvoller Entfernung mit dem Schiffe dahin. Die Seeleute behaupten, und auch ich kann dies aus meinen zur See gemachten Reisen bestätigen, daß jener Fisch immer dem kommenden Winde entgegen schwimmt, und so den Schiffern ein gewisser Vorbote der Veränderung desselben ist. Auch Seevögel, wie Möven, wilde Enten u. s. w. fliegen mit lautem Geschrei in Schaaren um das Schiff herum, und geben dem Reisenden hinreichenden Stoff zur Unterhaltung. Denn bald schießt ein Vogel plötzlich aus der Höhe pfeilschnell ins Wasser, um seine Nahrung zu suchen und nur selten verfehlt er sein Ziel; meistens sieht man denselben dann sich eben so hoch mit seiner Beute, einem kleinen Fische, einer Garnele u. dgl. in die Lüfte erheben. Bemerken dies seine raublustigen Gefährten, so geht es an die Verfolgung des Jägers, um ihm seine wohlerrungene Beute zu rauben, und dieser flieht vor seinen Verfolgern so lange, bis er irgend eine Sandbank oder den Strand erreicht hat, wo er seine Beute in Sicherheit verzehren kann. Zuweilen jedoch läßt der Vogel in diesem Gefechte seine Beute auch fallen, und er oder ein Anderer hat sie dann eben so blitzschnell mit seinem langen Schnabel wieder erhascht. Bald wird man in der Ferne einen, durch Schwärme von Seevögeln verfinsterten Streifen Luft gewahr: und der Neuling auf der See weiß nicht, was er davon machen soll, bevor ihn die Schiffer eines Bessern belehrt haben.
Ehe man es sich nun versieht, besonders wenn man bei heiterm Wetter auf dem Verdeck sein kann, und ein günstiger Wind das Schiff nach seinem Bestimmungsorte wie im Fluge hintreibt, erblickt man, das Auge auf jene interessanten Scenen und das majestätische Dahinrollen der Wogen gerichtet, die Insel selbst. Zuweilen sieht man auf einer nahen Sandbank eine Menge ruhig schlafender Seehunde, die, wenn das Schiff sich ihnen nähert, von ihrer ausgestellten Wache durch einen gellenden Schrei vor der Gefahr gewarnt, bei Zeiten dem Wasser zuwatscheln und sich eilig ins Meer stürzen. Nur selten gelingt es den Schiffern, einige von ihnen, die auf dem trocknen Sande schlafen, zu ertappen, und sie durch einen Keulenschlag auf die Nase zu tödten, und noch seltener einen Robben schußrecht zu bekommen, und ihm durch einen Schuß in den Kopf sogleich das Lebenslicht auszublasen; denn diese Thiere haben ein zähes Leben. Ein Schrotschuß, der nicht in den Kopf trifft, sondern nur den übrigen Körper eines Seehundes verlegt, bringt selten durch den dicken Speck hindurch, und tödtet den Seehund nicht sogleich, sondern erst nach einiger Zeit, wenn er dem Jäger schon längst aus dem Gesichte ist.
Also schon nach einigen Stunden, wenn das Schiff nicht viel mit Gegenwinde zu kämpfen hat, wodurch die Reise dann viel länger dauern muß, und obgleich man bereits lange des Leuchtthurms ansichtig geworden, wohl zwölf und mehrere Stunden anhalten kann [Fußnote: Man kann dann nicht in einem getie (d. h. soviel als eine Fluth- und eine Ebbezeit, jede von 6 Stunden) nach Borkum zu segeln.], werden die, bis dahin in einen grauen Nebel gehüllten Gestade des Eilandes deutlicher, und die Umrisse desselben sind dann genau zu erkennen. Man erblickt nun auch schon die auf der Insel befindlichen vier sogenannten Kaapen, dreißig bis achtzig Fuß hohe pyramidalische Vorrichtungen von starken eichenen Balken, welche den Schiffern in der See zum Zeichen dienen, wie sie steuern müssen, als vier aus dem Nebel auftauchende, riesige Masten eines Schiffes. Je mehr man sich dem Eilande nähert, desto interessanter wird die Aussicht. Man wird Schiffe gewahr, die ruhig auf der Rhede oder an andern sichern Plätzen der Insel vor Anker liegen; man erblickt im Westen von Borkum eine kleine Flotte, die mit dem Austernfange beschäftigt ist, und noch westlicher sind deutlich die Umrisse der kleinen holländischen Insel Rottum zu sehen. Man nähert sich nun schnell dem Ziele der Reise, und erblickt deutlich den weißsandigen Strand und die denselben begränzenden Dünen. Endlich kommt man nach zurückgelegter Reise [Fußnote: Die Entfernung von Emden nach Borkum würde, wenn man den Weg zu Lande machen könnte, etwa 7—8 Postmeilen betragen.] am südwestlichen Strande des Eilandes, oder, wenn die Zeit und Gelegenheit es erlauben, auf der Sommer-Rhede von Borkum vor Anker.

2. Capitel.
Die Sommer-Rhede von Borkum.

Der Anker ist geworfen und luftig weht die Hannoversche Flagge vom Hintertheile des Fährschiffes und ein Wimpel von der Spitze des Mastes zum Zeichen, daß im Schiffe sich Passaziere befinden, welche einen Wagen verlangen. Schon lange bemerkten die Fuhrleute, von den Dünen aus, jenen flatternden Wimpel und beeilten sich, ihre Pferde von der Weide zu holen und sich reisefertig zu halten. Nähert sich nun das Schiff dem Strande, so jagt ein Wagenlenker oder auch mehrere eilends nach dem Schiffe, und meistens können dann die Passagiere nach geworfenem Anker sofort die hier gebräuchlichen Fuhrwerke, eine Nachahmung der Holländischen Bauernwagen, besteigen und in einer kurzen Zeit die, etwa 1 Stunde betragende, Entfernung des Strandes von dem Dorfe durcheilen.
Bevor wir jedoch einen solchen Wagen besteigen, folge mir der Reisende mit seinen Blicken, und wende sie von der Rhede nach der rechten Seite hin. Man sieht hier in einiger Entfernung die Dünen des Ostlandes von Borkum, und hinter denselben einige rothe Dächer der dortigen Bauernwohnungen. Links ziehen sich vom Strande ab bis hinter das Dorf Borkum her um hohe und breite Dünen, welche einen Kranz um dasselbe bilden, und eine Schutzwehr gegen die anstürmenden Meeresfluthen abgeben. Vor sich hat man eine große grüne Fläche, durchschlängelt von einem kleinen Tiefe, und von einem hohen und langen Deiche begränzt. Ganz in der Ferne bemerkt man die freundlichen Wohnungen der Insulaner unterhalb der Dünen gelegen, mitten unter den erstern den hohen Leuchtthurm und auf der westlichen und nordwestlichen Seite der Dünen die bei den 60 bis 80 Fuß hohen Kaapen. Das Ganze ist eine für das Auge sehr erquickende Fernsicht, und bildet ein in allen Nuancen schattirtes Gemälde.

3. Capitel.
Wanderung von der Rhede nach dem Dorfe.

Nun besteigen wir einen wartenden Wagen, und fahren in demselben von der Rhede bis nach dem Dorfe, die eben geschilderten Gegenstände beständig vor Augen habend. Eine kurze Strecke fährt man über den, hier etwas weichen und schlüpfrigen Strand, der indeß an den andern Strandgegenden des Eilandes hart und eben ist, so daß man wie auf einer ebenen Flur zu fahren scheint. Hat man aber das grüne Weideland erreicht, dann rollt der Wagen über einen ebenen grünen Teppich dahin, und man würde, wenn die Bauart der hiesigen Fuhrwerke keine Rippenstöße verursachte, eine ganz angenehme Reise haben.
Man erblickt nämlich in einem großen Kreise um sich herum nichts als grünes Weideland, das auf drei Seiten, der westlichen, östlichen und nördlichen, durch hohe Dünen gegen Überschwemmungen geschützt ist, allein auf der südlichen Seite offen liegt, und daher häufig bei starken Südwestwinden von den andringenden Meereswogen überströmt wird. [Fußnote: Würde man von den westlichen nach den östlichen Dünen einen Deich aufwerfen, was mit wenig Kosten geschehen könnte, und zur Abwässerung ein Syhl darin anlegen, so könnte man Tausende von Morgen des besten Marschlandes gewinnen!] Auf diesen, Tausende von Morgen guten Marschbodens enthaltenden, grünen Fluren weiden mehrere hundert Stück Rindvieh, Pferde und Schafe, und finden dort ihre Nahrung in hinreichender Menge und in ziemlich guter Qualität. Die Grenze dieser Weide bildet ein sehr langer Deich, der die Felder und Wiesen des Eilandes und dessen Einwohner vor Ueberschwemmungen schützt. Vor der großen Wasserfluth im Jahre 1825 war dieser Deich nicht so hoch als jetzt, und daher kam es denn auch wohl, daß zu jener Zeit das Seewasser über denselben hinwegdrang, und alles Wiesenland nebst den niedrig gelegenen Theilen des Dorfs mehrere Fuß hoch überschwemmte.
Allerliebst anzusehen ist, besonders in der Dämmerung, das Leben der Kaninchen, wie sie aus ihren, in den nahen Dünen befindlichen Höhlen bei gutem Wetter zur Aesung auf das Weideland hinlaufen, dort zu Hunderten sich tummelnd umhertreiben und bei Annäherung des Wagens scheu entfliehen, indem sie laufend und springend in aller Eile ihre unterirdischen Wohnungen zu erreichen suchen. Zuweilen richten sich dann noch in einiger Entfernung ein Paar alte Kaninchen vor den Erdlöchern auf den Hinterfüßen empor, und gucken neugierig mit gespitzten Ohren um sich her, bis bis ihnen die Nähe der Menschen zu gefährlich erscheint, und sie dann auch, gleich dem übrigen Völkchen, unter der Erde verschwinden.
Je näher wir dem Deiche kommen, desto malerischer wird die Aussicht auf das, vor uns in einem Halbkreise am Fuße der Dünen liegende, Dorf. Im Hintergrunde des Gemäldes, das sich vor den Augen des Wanderers entfaltet, erhebt unter den freundlichen rothen Dächern der Häuser des Eilandes der riesige Leuchtthurm sein Haupt stolz in die Lüfte, und steht gleichsam mit Verachtung auf seine bescheidenen Nachbarn, das hiesige Kirchlein und die niedrigen Wohnungen der Insulaner herab.
Hinter dem Deiche angekommen, erblickt nun der müde Wanderer mit Wohlgefallen einige tausend Morgen Wiesenland, und wenn grade die Zeit der Heuerndte ist, Hunderte von Menschen wie die Ameisen beschäftigt, das wohlriechende Winterfutter für ihr Vieh zu bereiten und auf Wagen zu laden. Der Wagen rollt nun schnell durch diese belebte ländliche Scene hindurch; man erblickt nur fröhliche Gesichter, und von der Neugierde gefesselt, lassen die Insulaner ihre Arbeit eine Weile ruhen, um sich die ankommenden Fremden recht genau besehen zu können. Diejenigen unter ihnen aber, welche Badegäste erwarten, eilen schnell nach ihren Wohnungen, um die Fremden daselbst zu empfangen und freundlich zu bewillkommnen.

4. Capitel.
Allgemeine Beschreibung der Insel.

a) Lage und Größe des Eilandes.

Die Insel liegt nordwestlich von der Küste Ostfrieslands in einer etwaigen Entfernung von 3 Meilen, und wird von den bei den Mündungen der Ems in die Nordsee, der Wester- und Oster-Ems, umgeben. Sie gehört zum Königreiche Hannover, und speciell zur Landdrostei Aurich. Sie bildet eine eigene Amtsvogtei, die unter dem Amte Greetsyhl, in Criminal-Sachen aber unter dem Amte Emden steht.
In uralten Zeiten gehörten noch die, jetzt in Sandbänke und Platen veränderten und zur Fluthzeit überströmten Inseln Band und Buise, der sogenannte Ransel und das Pilsumer Watt zu der Insel Borkum, und letztere enthielt damals einen bei weitem größeren Flächenraum. Heutiges Tages ist sie freilich nicht mehr von einem so bedeutenden Umfange, allein sie ist doch immer noch die größte der an Ostfrieslands Küste liegenden Inseln. Ihre Größe beträgt in der Länge etwa 3 Stunden und in der Breite eine gute Stunde, so, daß ein rüstiger Fußgänger sie in einer Zeit von 7 bis 8 Stunden recht bequem umgehen kann.

b) Boden und Klima.

Die Oberfläche des Eilandes ist im allgemeinen eben zu nennen, und nur an der östlichen, nördlichen und westlichen Seite wird das Land durch die Dünen etwas höher. Letztere bilden Hügel von Seesand, welche theils ganz kahl und daher dem Verstäuben sehr ausgesetzt sind, theils von dem sogenannten Helm (Sandhafer) und andern darin fortkommenden Gewächsen hin und wieder ein grünes Aussehen haben. An der westlichen Seite der Insel sollen sich die Dünen in einem solchen Zustande befinden, daß vielleicht über kurz oder lang einmal ein Durchbruch der Wellen der Nordsee und dadurch eine sichere Zerstörung dieses schönen Eilandes entstehen kann. Sonst ist jedoch an den übrigen, gegen das Meer und die Ems hin liegenden, Dünen schwerlich ein Durchbruch des Seewassers zu befürchten, indem sie hier sehr hoch und breit sind, und auch von Jahr zu Jahr durch Anpflanzungen des Helms, von der Regierung dafür Sorge getragen wird, daß diese Schutzwehren gegen das Andringen der Meereswogen immer fester werden, und dem Verstäuben weniger ausgesetzt sind. An einigen Stellen sind die Dünen sehr niedrig, bilden hingegen an mehreren Orten des Eilandes Hügel von 50 bis circa 100 Fuß Höhe, so daß man auf den höchsten Punkten derselben, z. B: auf den, im Westen der Insel liegenden, sogenannten „Utkieke Dünen“, nicht nur die ganze Oberfläche des Ost- und Westlandes von Borkum übersehen kann, sondern auch nach allen Seiten hin eine entzückende Aussicht hat. Diese „Utkieke Dünen“ besteigen auch deshalb fast alle Tage die Seeleute, mit ihren Fernröhren bewaffnet, und schauen nach allen Seiten hin, ob auch irgendwo in der Nordsee oder auf dem Emsstrome den Schiffen ein Unglück begegnet ist, und sie ihnen mit ihren kleinen Fahrzeugen zu Hülfe eilen müssen; oder ob die, in die Ems einlaufenden Schiffe einen Lootsen an Bord haben wollen, was sie durch eine am Maste aufgehißte Flagge anzeigen. Die Borkumer Schiffer fahren dann hin, um als Lootsen die Schiffe binnen zu führen, und erwerben hiedurch, besonders wenn solche Schiffe Havarie erlitten haben, manchmal eine bedeutende Summe Geldes.
Der Boden der Insel unterscheidet sich, wie auf allen andern, an der Ostfriesischen Küste gelegenen, Eilanden von dem Boden des Festlandes und besteht größtentheils aus reinem Seesande; doch giebt es auch hier, namentlich hinter dem Borkumer Deiche und auf dem Ostlande mehrere tausend Morgen guten Marschbodens. In dem Marschboden des Ostlandes und auf dem sogenannten „Upholm“, einem einzelnen herrschaftlichen Bauernhause zwischen Borkum und dem Ostlande, wird herrliches Getreide, und besonders ausgezeichnetes Rappsaat seit mehreren Jahren gewonnen. Sowohl auf dem West- wie auf dem Ostlande werden gewiß mehrere tausend Morgen Marschbodens nur als Viehweide benutzt, weil sie bei hohem Wasserstande den Ueberschwemmungen ausgesetzt sind, und doch könnten diese großen Strecken, wenn sie eingedeicht würden, zur Erzeugung des besten Getreides und anderer Früchte mit dem größten Vortheile verwendet werden.
Das Klima ist auf der Insel wegen der Nähe des Meeres rauh, kalt und sehr feucht, und dabei das Wetter so veränderlich, daß oft in den heißesten Sommertagen die Luft durch den schnell entstehenden dicken Nebel (sogenannten Mist) plötzlich eiskalt wird und man daher genöthigt ist, immer wollene Unterkleider zu tragen. Der Winter pflegt hier ziemlich strenge zu sein, und es kommt häufig vor, daß man wegen des Eisgangs in der Ems vom Sct. Nicolaus-Tage bis zum Ausgange des März keine Nachrichten vom Festlande erhalten kann, also die Bewohner Borkum's 3 bis 4 Monate gänzlich von der übrigen Welt isolirt sind. Der Frühling tritt gewöhnlich erst spät ein und ist lange nicht so angenehm, als in den südlicheren Gegenden Deutschlands, wo man sich des Erwachens der Natur von ihrem Winterschlafe so recht erfreuen kann, Es herrscht hier in der Regel bis zum Eintritte des Sommers, der selten drükkend heiß, sondern meistens nur mäßig warm ist, eine für jeden Südländer unangenehme Kälte, die durch den fast beständig Statt findenden Wind noch bedeutend vermehrt wird, und dann kann mit einem Tage diese ziemlich strenge Kälte, wo man wollene Handschuhe tragen muß, plötzlich in große Hitze übergehen, und eben so auch wieder nach einem oder ein Paar Tagen mit der früheren Kälte abwechseln.
Daher ist hier das Klima im allgemeinen nicht sehr angenehm; allein der Insulaner ist an dasselbe gewöhnt und gesund dabei, und wenn sich der Fremde nur warm kleidet und dadurch vor Erkältungen in Acht nimmt, so hat die große Veränderlichkeit des hiesigen Klimas gar keinen nachtheiligen Einfluß auf seine Gesundheit. Im Ganzen ist hier der Herbst die schönste Jahreszeit; nur wehen in dieser Zeit und auch mit dem Eintritte des Frühlings oft schreckliche Stürme aus Südwest und Nordwest, und machen dann den Aufenthalt hieselbst nicht sehr angenehm. Ueberhaupt ist auf der Insel ein ganz windstiller Tag eine sehr große Seltenheit; es ist vielmehr beständig mehr oder minder windig. Durch diesen beständigen Wind ist hier jedoch die Luft viel reiner und die Respiration geht viel leichter von Statten als auf dem Festlande, woher es dann auch wohl kommen mag, daß die Insulaner im allgemeinen ein viel blühenderes Colorit und gesunderes Aussehen haben, als an den Orten, wo die Luft nicht durch den Wind von Unreinigkeiten beständig gesäubert wird. Nur hat der häufige Wind für diejenigen, welche nicht an ihn gewöhnt sind, das Unangenehme, daß der staubige Sand vom Winde hin und her getrieben wird, und daß man bei starkem Winde, ohne die Augen zu schützen, nicht im Dorfe, geschweige in den Dünen spazieren gehen kann. Man läuft sonst Gefahr, die Augen voll von Sand zu bekommen, und sich eine Augenentzündung, die hier überhaupt nicht selten ist, zuzuziehen.
Das Clima ist durchaus der Gesundheit nicht nachtheilig; dies bezeugen die vielen alten Leute auf der Insel, die trotz ihres hohen Alters dennoch rüstig und munter einherschreiten, und gleich einem jungen Manne die beschwerlichsten Handarbeiten verrichten. Vieles trägt hierzu nun auch gewiß das Schifferhandwerk bei, indem die Mannspersonen meistens schon sehr jung die höchst beschwerlichen Geschäfte eines Seemanns verrichten, und so gegen alle Unbill des Wetters und des rauhen Climas abgehärtet werden. Allein auch das weibliche Geschlecht ist hier, wenn auch hochbejahrt, noch sehr rüstig und munter, und versieht seine häuslichen Geschäfte und sonstigen, zuweilen sehr schweren, Arbeiten fast eben so gut, wie eine junge Frau am Festlande in ihrem besten und kräftigsten Lebensalter. Ja viele Männer und Frauen von siebenzig und mehreren Jahren haben noch kein einziges graues Haar aufzuweisen, ein Beweis, daß bei ihnen die allgemeine Ernährung des Körpers noch nicht rückgängig zu werden begonnen hat, wie doch in andern Gegenden und in diesen Jahren des Lebens gewöhnlich der Fall ist.
Krankheiten findet man, außer Erkältungen, Gicht und dem, in allen nahe an der See gelegenen Landen endemischen Scharbock wenige, ausgenommen gastrische, deren Ursache in der häufigen Ueberladung des Magens mit schweren, unverdaulichen Speisen zu suchen ist, und hier sowohl, wie an andern Orten, den Grund-Character aller Krankheiten seit einer Reihe von Jahren zu bilden scheint. Sonderbar ist es, daß, obgleich so viele junge Leute von hieraus auf Holländischen Schiffen als Matrosen und Steuerleute fahren und in ihrem Geschäfte häufig große See-Städte berühren, wo doch der Unsittlichkeit mehr freies Spiel gelassen wird, dennoch in allen 5 Jahren meines Hierseins mir kein einziger Fall von galanter Krankheit bekannt wurde, und noch viel weniger in meine Behandlung kam. Auch Ausschlagskrankheiten, wie Krätze, Flechten u. s. w. sind hier eine seltene Erscheinung, und mir sind während meiner Anwesenheit auf der Insel nur ein Paar Fälle von Krätze und ein, jedoch schwerer, Fall von Herpes squamosus bekannt geworden. Imgleichen ist Grindkopf, eine sonst in Ostfriesland häufige Krankheit unter den Kindern, hieselbst sehr selten, und die Insel kann jetzt nur einen Fall von jener häßlichen Krankheit aufweisen. Dagegen find Scropheln, Wurmleiden und deren Folgen hier eine ziemlich häufige Erscheinung, und wohl in der häufig harten, groben, zähen und unverdaulichen Nahrung der Insulaner wie getrocknete Fische, Erdäpfel, grobes Roggenbrot, Mehlspeisen u. s. w. zu suchen.
Im allgemeinen herrscht hier unter den Einwohnern ein sehr gesunder Zustand des Körpers, und ich habe deswegen als Arzt nur sehr wenig zu thun, indem die Insulaner meistens nur dann erst mich um Rath fragen, wenn das Leiden des Patienten so weit gediehen ist, daß arzneiliche Mittel demselben das Leben zu retten nicht im Stande sind. Mancher Kranke, der vielleicht, wenn ihm früher oder gleich im Beginne der Krankheit ärztliche Hülfe gespendet worden wäre, noch hätte genesen können, muß wegen verspäteter Einschreitung der Kunft unterliegen; ein Uebelstand, dem hier, wie auch anderswo, nicht leicht abzuhelfen ist.
Im Allgemeinen ist die Sterblichkeit nicht groß zu nennen; denn in manchem Jahre stirbt kein einziger Einwohner, dahingegen in einem andern Jahre 3 bis 4 der Insulaner der Natur ihre Schuld abtragen. Man kann daher im Durchschnitte jährlich 1—1½ von Hundert rechnen, welche hier in der Regel sterben, und dies ist gewiß, ein günstiges Mortalitäts-Verhältniß gegen andere Gegenden Ostfrieslands, wo die Sterbelisten einen ganz andern Erfolg ausweisen.

c) Gewässer.

Auf dem Westlande sind außer einem schmalen und seichten Tiefe, welches das Regenwasser aus den Gräben des Wiesenlandes durch ein kleines Syhl der Ems zuführt, und von Norden nach Süden läuft, keine innern Gewässer vorhanden. Binnen und hart unter dem Deiche befinden sich mehrere sogenannte Kolke, die durch den Ueberfall oder Einsturz des Seewassers entstanden, und oft dreißig und mehrere Fuß Tiefe haben. In den südwestlichen Dünen befindet sich die sogenannte „Kievitsdelle“, ein langes, schmales Thal, worin sich viele Kiebitze aufhalten, und das in der Mitte ein schmales und nicht sehr tiefes stehendes süßes Wasser enthält, in welchem sich Blutigel zum medicinischen Gebrauche aufzuhalten pflegen. Doch hat die Anzahl der letztern durch das häufige Wegfangen dieser Thiere schon bedeutend abgenommen, und sie möchten wohl gänzlich ausgerottet werden, wenn nicht das Fangen jener nützlichen und in der Arzneikunde so unentbehrlichen Geschöpfe von der Regierung strenge verboten und nur zum Behufe für hiesige Kranke erlaubt würde.
Das auf der Insel gebräuchliche Regenwasser zum Thee und zum Waschen findet sich in hinreichender Menge und in sehr guter Qualität in dem sogenannten „langen Wasser“, das unterhalb der Westdünen gelegen ist, und dessen Quelle nur in sehr trocknen Jahren versiegt. Ueberdies braucht man in den Dünen-Thälern nur einige Fuß tief zu graben, und man findet des reinsten und schmackhaftesten Wassers genug, so daß auf der Insel ein Mangel an gutem und trinkbarem Wasser kaum zu denken ist. Selbst in dem so dürren Sommer des vergangenen Jahres, wo überall Klagen über Wassermangel gehört wurden, und auch hier das sogenannte lange Wasser, die allgemeine natürliche Cisterne der Insulaner, fast trocken, wenigstens das Wasser daraus nicht mehr gut war, empfanden wir hier den allgemeinen Wassermangel fast gar nicht; denn als die natürlichen Quellen unserer Cisterne verstegten, schufen sich die Insulaner in den Dünen durch Kunst neue Cisternen, welche nur wenige Fuß tief waren und dennoch sehr helles und schmackhaftes Wasser in hinreichender Menge lieferten.
Auch auf dem Ostlande bemerkt man ein von Westen nach Osten fließendes schmales Tief, und binnen dem Deiche gleichfalls einige Kolke, die ohne Zweifel denselben Entstehungsgrund haben, wie die auf dem Westlande, Auch hier ist Ueberfluß an trinkbarem Wasser vorhanden, und eine in den Thälern der Dünen gegrabene Grube liefert den Bewohnern hinreichend helles und schmackhaftes Trinkwasser.
Die äußern Gewässer sind die Ems, welche sich unterhalb Borkum in zwei Arme, die Oster- und Wester-Ems, theilt, das Eiland auf eine solche Weise auf drei Seiten, der südlichen, westlichen und östlichen, umgiebt und oberhalb Borkum sich in die Nordsee ergießt. An der nördlichen Seite wird der Strand der Insel von den Wogen der Nordsee bespült.

d) Wasserbau-Anlagen zur Erhaltung und Entwässerung der Insel.

Sowohl auf dem Ost- wie auf dem Westlande befindet sich ein Deich, der auf letzterem die Ländereien der Insulaner gegen Süden und auf dem Ostlande gegen Südosten vor Ueberschwemmungen schützt.
Die, das Eiland an drei Seiten, der nördlichen, östlichen und westlichen, umgebenden Dünen schützten dasselbe bis jetzt vor Ueberschwemmungen mit Seewasser; allein, wie schon oben gesagt, befindet sich auf dem Westlande und an der Westseite der Dünen nach dem Urtheile der meisten Insulaner eine sehr gefährliche Stelle, die mit der Zeit, und wenn dort die Dünen so abzunehmen fortfahren, wie seit einigen Jahren der Fall war, leicht einen Durchbruch der Nordsee und eine Verwüstung des Eilandes zur Folge haben könnte. Es hat sich zwar im Nordwesten dieser Stelle am Strande eine sehr lange und hohe Sandbank gebildet, die freilich, wenn sie sich weiter nach Westen und Südwesten hin fortsetzte, die befürchtete Gefahr um Vieles verweigern würde. Die Wogen der andringenden Meeresfluth könnten sich dann an jener Sandbank brechen, und die schwachen Dünen würden nicht, wie jetzt leider der Fall ist, allein der ganzen Gewalt der andringenden Meereswogen Widerstand leisten müssen. Erfolgte hier aber ein Durchbruch des Seewassers, so ergösse sich dieses sogleich in die, unfern den west- und nordwestlichen Dünen liegenden Wiesen und Felder der Insulaner, und theilte dann ohne Zweifel das Westland von Borkum in zwei Theile, wenn nicht eine gänzliche Zerstörung des Westlandes daraus hervorginge.
Es wäre darum wohl der Mühe werth, daß man diesem schrecklichen Unglück bei Zeiten vorbeugte, und so die Insel Borkum den Ostfriesischen Deichen fortwährend als eine Vormauer gegen die Gewalt der wüthenden Wogen der Nordsee dienen könnte. Worin jedoch die Wasserbau-Anstalten zur Erhaltung der Dünen an dieser schwachen Stelle bestehen müssen, das überlasse ich den Sachverständigen zur Beurtheilung und Ausführung. Allgemein ist indessen der Wunsch der Insulaner, daß in dieser, nicht allein für das Wohl des Eilands, sondern auch für das Bestehen der Ostfriesischen Deiche so höchst wichtigen Angelegenheit in Bälde etwas geschehen möge, was die Furcht vor einer Ueberschwemmung oder gar Verwüstung der Ländereien, wenn nicht des ganzen Westlandes, in etwas verringere. Denn seit der kurzen Zeit, daß ich hier wohne, haben die Dünen, nach Aussage fast aller hiesigen verständigen Einwohner, an jener Stelle wohl dreißig Fuß und mehr in der Breite abgenommen, so daß die Nordsee jetzt nur noch etwa ein Mal so viel abzuspülen braucht, um dann bei hohem Wasserstande gemächlich in die unbeschützten Fluren des Eilandes dringen zu können. Helmenpflanzen fruchten hier wenig oder gar nichts; denn bei jedem hohen Wasserstande und vorzüglich bei Stürmen aus West und Nordwest schlägt die, gegen die Dünen andringende, Meeresfluth nicht allein eine Menge Sand, sondern selbst große Stücke festgewurzelten und mit Helm bepflanzten Erdreiches hinweg. Es muß hier deshalb etwas Anderes der Wuth der tobenden Nordsee entgegengesetzt werden, als Helm und Sand; denn diese beiden Dinge sind viel zu schwach, um jenem starken Gegner die Spitze bieten zu können.
Zur Conservirung der Dünen wird von der Regierung jährlich eine Summe Geldes ausgesetzt und zu Helmenpflanzungen verwendet. Auch die Insulaner selbst pflanzen an den gefährlichen Stellen und auch sonstwo Helm an, ohne daß die Regierung hiervon einen Pfenning Unkosten hat. Hiermit wäre also das scharfe Urtheil des Ostfriesischen Geschichtschreibers Freese über die Einwohner Borkum’s abgewiesen, welcher in seinem „Ostfries- und Harrlingerland“ Aurich, 1796. pag. 207. die Insulaner gar sehr der Faulheit ergeben schildert, und angiebt, daß sie gar keinen Helm pflanzen. Es kann nun wohl sein, daß zu damaliger Zeit, wo auf Borkum große Wohlhabenheit herrschte, die Einwohner sich nicht sehr beeilten, schwere Arbeiten zu verrichten; allein dem ist jetzt doch nicht mehr so. Die Bauern des Ostlandes vflanzen eine Menge Helm und Buschwerk gratis an, und wollen dergleichen Anpflanzungen in noch größerm Maaßstabe betreiben, wenn die Regierung die Hälfte der Unkosten übernehmen will, ein Vorschlag, der sicherlich von den hohen Landesbehörden nicht wird von der Hand gewiesen werden. —
Der sogenannte Helm, auch Sandhafer, Sandrohr, Hügelrohr, oder Sandschilf genannt, ist ein binsichtes, dicht und hoch aufschießendes Gras, wovon es verschiedene Arten giebt, als Elymus arenarius, Arundo arenaria, A. epigejos u. a. m. Durch die oft zwanzig bis dreißig Ellen fortlaufenden Wurzeln und Wurzelfasern jener Pflanzen, die in einander verwebt sind, wird der Sand in den Dünen an einander gehalten, und man pflanzt an den Ufern oder sonstigen der Verstäubung ausgesetzten Stellen, um Anhäufung des Sandes und Befestigung der Dünen zu erlangen, den Helm rautenweise. Der Same dieser Pflanze wird vom Winde hinreichend in den Dünen umher ausgestreuet, so daß Menschenhände diese beschwerliche Arbeit nicht zu übernehmen brauchen. Einige Male im Jahre bereiset ein königlicher Wasserbau-Officiant die Insel, besichtigt die geschehenen Arbeiten, und giebt weitere Anleitung zu den in's Künftige vorzunehmenden Helmenpflanzungen. — Das sogenannte Flaakensetzen ist nur eine Palliativ-Cur, kostete immer viel Geld, und wurde alle Jahre von neuen erfordert, ohne daß damit etwas gewonnen, oder die Verstäubung des Sandes gehindert wurde. Man hat daher diese kostspieligen Wasserbau-Anlagen seit längerer Zeit nicht mehr in Anwendung gebracht.
Man findet auch viele andere Pflanzen in den Dünen vor, z. B. Bitterweiden, Haftdorn, Seestrandsdorn, Sanddorn, Weidendorn, die durch Ableger, Stecklinge und Wurzelbrut leicht vermehrt werden können. Den Weidendorn, Hippophaë rhamnoides L. haben schon Einige für den Wachholderstrauch gehalten, von welchem er jedoch leicht zu unterscheiden ist. Mit solchem; in Reihen gepflanzten, Buschwerke soll mit etwa fünf Thaler Unkosten laut der Erfahrung mehr ausgerichtet werden können zur Erhaltung der Dünen, als sonst mit achtzig ungleich kostbarerern Flaaken. Dasjenige, was durch Buschwerk zur Begrünung gebracht wird, ist auf immer gewonnen, und man könnte auf diese Weise die ganze Insel nach und nach vor Verstäubung sicher stellen.
Die in den Dünen sich aufhaltenden Kaninchen sind schädlich für die Conservation derselben, indem sie nicht allein die Dünen durchwühlen, sie unterminiren und so zum Einsturze geneigter machen, sondern weil sie auch das Gras und den Helm in den Dünen abfressen. Auch sonst richten sie allerhand Schaden in den, den Dünen nahe liegenden, Ländereien der Insulaner an. Wollte man, wie der Plan eines königlichen Forstbedienten sein soll, Borkum mit Bäumen bepflanzen, so müßte man zum wenigsten dort, wo man die jungen Bäume setzen wollte, erst die Kaninchen ausrotten, weil diese sonst ohne Zweifel im Winter und Frühjahre die Rinde der jungen Baumstämme abnagen und dadurch den Stamm vernichten würden. Diese Thiere vermehren sich so ungeheuer, daß ein Paar alter Kaninchen in einem Jahre nach und nach dreißig bis sechzig Junge zur Welt bringen kann. Indessen haben die Kaninchen, obgleich sie unläugbar vielen Schaden anrichten, auch wieder ihren großen Nutzen für die Bewohner der Insel, weil in der Fangezeit, um Mitte Decembers bis zu Lichtmeß, jeder Familie, die fangen will, von den Pächtern des Kaninchenfangs eine Stelle in den Dünen angewiesen wird, wo ihr so viele Kaninchen zu fangen erlaubt ist, als sie nur kann. Von vier erbeuteten Kaninchen muß der Jäger nur eins nebst sämmtlichen Fellen dem Pächter abgeben; das Fleisch der drei übrigen gehört ihm. Dem Pächter kommt es nur auf die Felle an, die jetzt freilich nicht mehr so viel werth sind als in frühern Jahren, wo das Paar Felle wohl 10—15—20 Stüber Holl. gekostet, und der Pächter oft mehr als tausend Gulden holl. aus dem Verkaufe der Felle in Amsterdam, wohin sie auch jetzt noch gesandt werden, gelöst haben soll. Jetzt kosten ein Paar Felle ungefähr 2—3 Stüber holl., und der Pächter kann kaum die, 36 Rthlr. jährlich betragende Pacht, welche zu den Einkünften der königlichen Domainen gehört, aus dem Fange der Kaninchen zusammen bringen. Früher sollen hier auch weit mehr Kaninchen gewesen sein als jetzt, wie mir alte hiesige Einwohner häufig versicherten. In trockenen Jahren vermehren sie sich außerordentlich; hingegen ist ein nasses Jahr ihnen höchst verderblich, man findet dann eine Menge Kaninchen todt in den Dünen liegen.
Die Kaninchen werden jetzt nur in Schlingen von Messingdrath gefangen; früher, als ihre Anzahl bedeutender war, fing man sie in eigenen Netzen und auch wohl mit Frettchen. Ein abgehäutetes Kaninchen kostet in der Fangezeit 1½—2 Stüber holl.; es wiegt wenigstens drei bis vier Pfund, und ist häufig so außerordentlich fett, daß man zum Braten des Fleisches fast gar keines anderen Fettes bedarf. Man muß jedoch das Fleisch zuvor etwas abkochen, damit dasselbe den etwas strengen Geschmack verliert, und dann in einem wohl geschlossenen Topfe über langsamem Feuer mit Nelkenpfeffer, Lorbeerblättern, Salz und in ihrem eigenen Fette, wenn sie fett sind, gahr schmoren lassen. So zugerichtet liefern sie mit abgekochten Kartoffeln eine sehr schmackhafte und wohlfeile Speise, die sich in der Fangezeit jeder arme Einwohner umsonst und mit wenig Mühe verschaffen kann. —
Zur Entwässerung des Eilandes dienen sowohl auf dem Ost- wie auf dem Westlande der Insel zwei kleine Syhle oder Seeschleuschen, welche das vom Regen entstandene Binnenwasser in zwei Tiefen der Ems zuführen. Außerdem ist von den Bauern auf dem Ostlande vor einigen Jahren eine Wassermühle angelegt worden, welche die dortigen Ländereien trocken erhält und ihrem Zwecke vollkommen entspricht.

e) Producte der Insel.

Was das Erdreich betrifft, so findet sich auf der Insel Lehm, den man wohl hin und wieder zum Häuserbau benutzt. Auch wird jährlich eine Menge Sand von mehreren hiesigen Schiffern nach Greetsyhl, Larrelt und Emden gebracht, und dort eine Schiffsladung mit 10, 15 bis 20 fl. holl. u. m. bezahlt.
Torf findet sich hier nicht, sondern wird zu Schiffe hieher gebracht. Daher ist hier das Brennmaterial sehr theuer.
Nach Arends [Fußnote: Erdbeschr. des Fürstenth. Oftfriesl. u. des Harrlingerl. S. 368.] soll sich hier auch an einer Stelle im Untergrunde Pfeifenthon (vermuthlich weißer Klei) befinden, wovon mir jedoch nichts bekannt ist.
Wir gehen nun zu den Producten des Pflanzenreichs über. Man erzielt hier auf dem Ostlande und auf dem sogenannten Upbolm jährlich im Durchschnitte ungefähr 6 Last vortrefflichen Rapssamen, den die Emder Kaufleute gewöhnlich theurer bezahlen, als denjenigen, welcher am Festlande wächst. Rocken gedeihet hier sehr gut, und die Bäcker würden sich nicht genöthigt sehen, noch jährlich eine Menge Rocken vom Festlande, von Emden und Greetsyhl zum hiesigen Gebrauche anzukaufen, wenn nicht das meiste hiesige Land als Weideland liegen bliebe oder als Gartengrund benutzt werden müßte. Auch Hafer gedeihet hier recht gut, wird aber nur sehr wenig angebauet und noch viel seltener als Futter für die Pferde benutzt, da diese hieselbst meistens über zwei Drittheile des Jahres im Freien ihre Nahrung suchen müssen, und nur etwa vom December bis März auf dem Stalle mit Heu gefüttert werden. Gerste wird gleichfalls gezogen; selten jedoch wird sie ganz reif, weil, wenn das Heu aus dem Meedelande heraus ist, schon kurze Zeit darauf das Vieh wieder hineingetrieben wird, und die Insulaner sich dann häufig genöthigt sehen, die Gerste, wenn sie auch noch nicht ganz reif sein sollte, abzumähen und bei ihren Wohnungen nachreifen zu lassen. Deshalb wird auch nur Sommergerste gebauet.
Buchweizen scheint hier nicht recht fortkommen zu wollen; hingegen hat man Flachs schon vor mehreren Jahren mit gutem Erfolge gezogen. Indessen ist der Anbau des Flachses wieder aufgegeben worden, weil man theils keine Kenntnisse von der Bereitung des nützlichen Flachses hatte, theils auch die dazu erfoderlichen Geräthschaften gänzlich fehlten. Es wäre sehr zu wünschen, daß der Anbau jenes, für den Menschen so höchst nützlichen, Gewächses durch Prämien von den Gewerbe-Vereinen zu befördern gesucht würde, und daß letztere von den Insulanern keine so große Quantität guten Flachses verlangten, als sonst erforderlich ist, um den jetzt ausgesetzten Preis zu erhalten. In frühern Jahren wurden hieher auch Spinnräder und Flachs geschickt, und letzterer von den armen Einwohnern gegen eine billige Vergütung gesponnen; seit einigen Jahren wird aber nur sehr wenig Flachs hieher geschickt, und viele arme Insulaner wünschen sehnlichst, daß ihnen in der Folge wieder mehr Flachs zugesandt und ihnen durch das Spinnen desselben ein, bei der hiesigen großen Armuth zu dem Bestehen der häufig zahlreichen Familie so nöthiges Hülfsmittel verschafft würde. Wenn auch im vorigen und im Anfange des jetzigen Jahrhunderts die Luft zum Spinnen des Flachses nicht groß war, indem damals der Zustand der Insulaner ein ganz andrer sein mußte, als jetzt leider der Fall ist, so haben gewiß die Armen doch immer den ihnen gegebenen Flachs gesponnen, und mit Dank den dafür verdienten geringen Lohn im Empfang genommen. Jetzt ist es der höchste Wunsch der vielen hiesigen Wittwen und sonstigen bedürftigen Leute, daß ihnen von der Regierung nur das ganze Jahr hindurch Flachs zum Spinnen zugesandt werden möchte.
Erbsen, gelbe, grüne und graue, gedeihen hier vortrefflich, und werden fast in jedem Garten, doch nicht im Felde, mit großem Gewinne gezogen. Auch kleine Bohnen, die sogenannten Pferde- oder Saubohnen, würden hier sicherlich gut fortkommen; man bauet sie jedoch nicht an. Hingegen wird auf der Insel eine erstaunliche Menge vortrefflicher großer Bohnen eingeerndtet, und das Land bewährt hierin noch wie zu der Römer Zeiten, welche bei ihrer Erstürmung der Insel so viele Bohnen vorfanden, daß sie davon dem Eilande den Namen Fabaria [Fußnote: cf. Strabo Geogr. L. VII. Plinius Hist. nat. L. IV. Cap. 13. Earum (insularum) nobilissima Burchana, fabaria a nostris dicta, a frugis similitudine sponte provenientis.] (scil. insula), Bohneninsel, geben, seinen Ruf. Es werden jährlich eine Menge großer Bohnen gegen Gerstengraupen in Ostfriesland eingetauscht.
Schwarzer Senf wächst hier überall wild, besonders auf den neu angelegten Wällen, die sich um die Gärten ziehen, auch wird wohl hin und wieder gelber Senf gezogen. Diese beiden Senfsorten mit einander vermengt gebrauchen die Insulaner als Würze zu ihren Speisen.
Hin und wieder sieht man in den Gärten auch einzelne Hanfpflanzen sehr üppig wachsen; es wäre daher zu wünschen, daß die Cultur dieses, für die Seefahrt so unentbehrlichen, Gewächses hier im Großen betrieben würde.
Kartoffeln bauet man hier sehr viel und für den Bedarf der Einwohner, deren Hauptnahrung sie ausmachen, in hinreichender Menge, sowohl in den Gärten als auch im Weidelande; doch sind sie, besonders die im Lande erzielten Kartoffeln, welche frühreife sind und sich nicht lange gut halten können, indem sie, eben so wie die Gerste, gleich nach vollendeter Heuerndte, wenn sie ihr vollkommnes Wachsthum auch noch nicht erreicht haben, ausgerodet werden müssen, nur von einem sehr mittelmäßigen Geschmack, und auch die in den Gärten angebaueten Erdäpfel meistens von untergeordneter Qualität. Wer nun keinen Garten hat, um seinen Vorrath von Kartoffeln selbst einzuerndten, muß sich ihn entweder vom festen Lande durch den Fährmann kommen lassen und denn jeden Sack an Schiffs- und Wagenfracht um 6 Stüber holl. theurer als am Festlande bezahlen, oder hier im Herbste den Sack schlechter Kartoffeln mit wenigstens 24 bis 28 Stüber holl. kaufen. Im Frühjahre kostet der Sack gewöhnlich 2 fl. holl., wenn man von einem gewissen Bauer, Tönjes Juist, auf dem Ostlande keine mehr bekommen kann, der gewöhnlich eine große Menge sehr guter Kartoffeln für 29 Stüber Holl. per Sack verkauft, und nie mehr dafür nimmt, wenn auch Andre sich ihre Kartoffeln noch so theuer bezahlen lassen.
Seit längerer Zeit legen sich die Insulaner auch eifrig auf den Anbau von allerlei Gartenfrüchten, und ziehen alle möglichen Küchengewächse, auch Blumenkohl, von der besten Qualität. Alle Gewächse werden hier jedoch viel später reif, als auf dem Festlande. Noch vor 40 bis 50 Jahren wurde hier in den damaligen kleinen Gärtchen fast nur ein wenig Kohl gebauet; alle andere Gemüse und auch die übrigen Lebensmittel, sogar Schiffszwieback und anderes Weißbrod, brachten die Männer aus Holland mit, wenn sie von ihren grönländischen oder andern Seereisen zu ihren Familien zurückkehrten. Jetzt hingegen, besonders nachdem die Fahrt auf Grönland und die Davis-Straße ganz aufgehört hat, wodurch der Wohlstand hieselbst bedeutend vermindert ist, sieht man bei jedem Hause einen Garten, in welchem Kartoffeln, Erbsen, Bohnen, Vitsbohnen, Kohl, Wurzeln, Steckrüben, Schallotten (Zwiebeln wollen hier nicht recht fort), selbst Blumenkohl u. a. Gartenfrüchte nebst Petersilie, Sellerie ꝛc. in sehr guter Qualität erzielt werden. Doch müssen die Gärten vor den rauhen nördlichen und östlichen Winden durch Bäume u. dgl. geschützt werden, sonst können die seinern Gartenfrüchte, wie Vitsbohnen u. a. nicht gedeihen. —
Obst kommt in dem hiesigen Boden und Clima sehr gut fort; es wachsen z. B. Johannis-, Stachel- und köstliche Erdbeeren fast in jedem Garten, und in den Dünen findet sich eine Art sehr guter Brombeeren in großem Überflusse, so daß man hier an dergleichen Früchten keinen Mangel hat, wenn es auch etwas später reif wird als am Festlande. Auch Baumfrüchte wachsen hier gut. Man findet jedoch nur hin und wieder auf der Insel einige Obstbäume, und trifft dieselben gewiß nur darum so wenig an, weil die Kinder hieselbst so leicht zu den Obstbäumen gelangen können, und auch wohl Größere bei Nacht, wenn es auch erst halb reif ist, das Obst abreißen und hiemit zugleich die Zweige der Bäume abbrechen, so daß dieserhalb die meisten Einwohner, wenn sie auch Obstbäume besitzen, wenig oder keinen Nutzen, sondern nur Aerger und Verdruß davon haben. Aus diesem Grunde ist hier fast ein gänzlicher Mangel an Obst, und es ist auch keinem Insulaner bei diesen trüben Aussichten zuzumuthen, junge Obstbäume anzupflanzen; denn wenn er etwas davon haben will, so muß er schon, wenn das Obst halb reif ist, bei Nacht Wache halten, damit nicht andere Leute für ihn erndten.
Von Holzarten kommen hier besonders Weiden und Erlen gut fort, und werden auch am meisten zum Bepflanzen der Gärten benutzt, um letztere vor den Stoß- und andern schädlichen Winden einigermaßen zu schützen. Eichen, Buchen, Tannen und Birken findet man hier gar nicht; hin und wieder sieht man einige gute Lindenbäume vor den Häusern, auch wohl zwergartige Pappeln und andre feinere Holzarten, die jedoch selten zu einer großen Höhe gelangen, sondern nur in einem verkrüppelten Zustande angetroffen werden. Auch Eschen (sogenannte Opern) wachsen hier wohl. — Man hat schon den Vorschlag gemacht, die Dünen mit Holz zu besetzen; allein dann müßten doch wohl erst die in den Dünen sich aufhaltenden zahlreichen Kaninchen mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, damit sie im Winter nicht die jungen Stämmchen benagen und dadurch den gewissen Untergang jener projectirten Holzanpflanzung herbeiführen. Diese Ausrottung der Kaninchen hätte aber nur einen problematischen Nutzen; denn es würde sehr darauf ankommen, ob der jährliche Ertrag des Holzes mit der jährlichen Pacht der Kaninchen (jetzt 36 Rt) übereinkäme, ganz davon abgesehen, daß die Kaninchen den armen hiesigen Einwohnern im Winter ein unentgeldliches und mit weniger Mühe zu erlangendes Labsal verschaffen, wonach solche, die im ganzen Jahre außer Seefischen wenig oder gar kein Fleisch zu essen bekommen können, schon Monate lang vorher seufzen. Auch ist es ja nur hypothetisch, ob die dürren Sanddünen dergleichen Sämereien, oder gar junge Stämmchen, in ihrem Busen aufnehmen und denselben die gehörigen Nahrungsstoffe zum Keimen des Saamens und zur Entwicklung des Baumes gewähren würden. Indessen steht es zu wünschen, daß zum wenigsten in den Dünen-Thälern, z. B. in der sogenannten Kievitsdelle und besonders in den Gegenden, wo sich keine Kaninchen aufhalten, je eher je lieber ein Versuch mit der Besaamung solcher Holzarten, die hier gedeihen könnten, gemacht würde, indem, wenn die Anpflanzung einen glücklichen Erfolg hätte, vielleicht dem gänzlichen Mangel an Brennmaterialien abgeholfen würde und die Insulaner sich in der Folge nicht mehr genöthigt sähen, so vielen theuren Torf, als jetzt der Fall ist, vom Festlande einzukaufen. Im Sommer wird freilich von den ärmeren Einwohnern nur wenig Torf verbraucht, indem sie dann, (gleichwie die Beduinen in den Wüsten Afrikas getrockneten Kameelmist brennen) sich des getrockneten Kuhmistes (hier Schollen genannt) zu gleichem Endzwecke bedienen. Er brennt recht gut, und kostet ja auch nur das Holen; indeß wäre es doch unstreitig besser, wenn jener Mist auf der Weide liegen bliebe und zur Düngung derselben diente; auch riecht das ganze Haus und alle Speisen nach diesem ekelhaften Brennmateriale, so daß nur die Noth die Armen zwingt, sich desselben zum Bereiten der Speisen zu bedienen. Im Winter müssen aber zum wenigsten 60 bis 70 und früher wohl 80 Last Torf zu Schiffe vom Festlande hieher gebracht werden. Rechnet man nun die Last Torf nur auf 22 Gulden Holländisch, so gehen auf diese Weise jährlich gewiß an die 15 — 1600 Gulden holl. bloß für den Bedarf an Feuerung von der Insel. Wahrlich, ein wohl zu beherzigender Umstand, dem abzuhelfen gewiß der Mühe werth ist!
Das Gras von dem, (über 1000 Morgen) 600 Grafen großen, Wiesenlande ist recht gut, und die Insulaner gewinnen in guten Jahren auch ganz vortreffliches Heu davon. Man würde jedoch noch viel mehr Heu einerndten können, wenn nicht gleich im Frühjahre die Schaafe und Pferde in das Wiesenland getrieben würden. Diese fressen dann alle jungen Sprossen weg und was übrig bleibt, verzehren die hernach kommenden Kühe vollends. Die Heuerndte ist hier deshalb, weil auf diese Weise das Gras, wenn in Anfange des Mais das Vieh hinter dem Deiche weidet, sich erst langsam wieder erholen und die abgebissenen Sproßen noch wachsen müssen, ziemlich spät, etwa vom 12. Juni bis zum 12. August. Grummet wird in dem allgemeinen Wiesenlande gar nicht geerndtet, weil nicht lange nach der Heuerndte, wenn die andere Feldfrüchte, wie Gerste und Kartoffeln, einigermaßen reif sind, das Vieh die Weide hinter dem Deiche verläßt und wieder bis weit in den Herbst hinein (z. B. noch heute, am 16. November da ich dieses schreibe) in dem Wiesenlande sein Futter sucht. Auch hinter dem Deiche und in einigen Dünen-Thälern wächst ziemlich gutes, aber kurzes Gras und die Schaafe sowohl, als auch die Kühe und Pferde müssen sich fast den ganzen Sommer hindurch damit behelfen. Dieses Gras muß sehr nahrhaft sein; denn die Kühe geben davon ziemlich viele Milch (eine gute Kuh täglich 2 Eimer voll), und sie sowohl als die Pferde und Schaafe werden bei dieser dem Anscheine nach mageren Weide fett, und Pferde und Kühe haben ein glänzendes Ansehen. Auch wachsen in den Dünen-Thälern und in anderen Theilen der Insel viele nahrhafte und saftreiche Kräuter, und an verschiedenen Orten des Eilands bemerkt man sogar dicht mit weissem Klee bewachsene Stellen, so daß das hiesige Vieh, wenn es aus dem Wiesenlande, (gewöhnlich im Anfange des Mai) hinter den Deich getrieben wird, seine Nahrung recht gut finden kann. Das Übelste dabei ist aber, daß die Weide hinter dem Deiche so häufig bei stürmischer Witterung vom Seewasser überschwemmt und dann nicht allein eine Zeitlang von dem Viehe verschmähet, sondern auch dadurch, wenn die Schaafe vielleicht gleich davon fressen, die sogenannte Galligkeit der Letztern wahrscheinlich hervor gebracht wird. Denn Schaafe, die nicht unter der ganzen Heerde Schaafe hinter dem Deiche weiden, sondern allein in den Gärten oder sonst wo „getseddert“ werden, sind laut der Erfahrung nie gallig befunden worden. Merkwürdig ist es, daß auch die Kaninchen von demselben Leiden ergriffen werden, wenn die Schaafe gallig sind und denn häufig todt in den Dünen umher liegen. Diese Krankheit besteht meinen Untersuchungen nach in einem Leiden der gallenabsondernden Organe, besonders der Leber, was gewöhnlich Bauchwassersucht erzeugt und endlich den Tod an allgemeiner Abzehrung herbeiführt.
Man könnte jedoch dem Übelstande, nämlich der Überschwemmung der Viehweide mit Seewasser, recht gut abhelfen und mit wenigen Unkosten von den westlichen bis zu den östlichen Dünen (eine Entfernung von etwa ⅛ Stunde) einen Deich aufwerfen und zur Abwässerung ein kleines Syhl darin anlegen. Da Aufwerfen des Deiches könnte recht gut von den Insulanern und deren Fuhrwerken in einer Zeit, wo wenig zu thun ist, etwa im Herbste oder gleich im Frühjahre, ohne Unkosten gethan werden, und nur die Legung des Syhl's würde Unkosten verursachen. Allein dafür wäre dann die Viehweide auch nicht mehr den Überschwemmungen bloßgestellt, und das Vieh würde ungekränkt Jahr aus Jahr ein sich der besten Weide erfreuen, indem dann gewiß auch durch Ziehung von Gräben und andere Arbeiten eine größere und qualitativ bessere Menge Gras erzielt werden könnte. Auch würde dann jenes, in manchen Jahren alle hiesigen Schaafe, wegraffende endemische Leiden dieser in der Haushaltung so nützlichen Thiere ohne Zweifel, wenn auch nicht gänzlich verhütet, doch sicher bedeutend begrenzt werden. Bis jetzt jedoch ist dieser unstreitig höchst zweckmäßige Vorschlag ein frommer Wunsch geblieben, und es ist vielleicht erst einer spätern Generation aufbewahrt, jenes schon von mehreren Seiten gewünschte Project zu realisiren. Die einzige leicht zu beseitigende Furcht der Insulaner besteht darin, daß, wenn sie auch gerne mit ihrer Hände Arbeit einen solchen Deich legen und das Syhl von Kunstverständigen erbauen lassen wollten, um dadurch eine wesentliche Verbesserung der Weide zu veranstalten, die Regierung dann das eingedeichte Land in einzelnen Parcelen oder ganz in Erbschaft verleihen könnte und die hiesigen Einwohner auf eine solche Weise ihre jetzige Weide ganz verlieren würden. Denn hinter dem Deiche ist der Grund und Boden königlich, und die Insulaner haben nur ein geringes Weidegeld für die Benutzung des herrschaftlichen Landes zu erlegen; nämlich für eine Kuh jährlich einen Reichsthaler, für ein einjähriges Rind oder Enter 16 Ggr. und für Kälber gar nichts. Ein Schaaf kostet jährlich 4 und ein Lamm 2 gute Groschen an herrschaftlichem Weidegelde. Die Pferde gehen das ganze Jahr hindurch frei in die königliche Weide, weil sie bei Strandungsfällen dafür die geborgenen Güter frei von gestrandeten Schiffen nach dem Hause des Amtsvogts ziehen müssen.
Der Göttinn Flora wird hier nur in wenigen Gärten gehuldigt, und ihre duftigen Spenden meistens mit Geringschätzung behandelt. Daß jedoch hieselbst der Boden sowohl zur Erzielung von gewöhnlichen als auch von zarteren Blumenarten und exotischen Sträuchern recht gut benutzt werden kann, und daß es nur an den Einwohnern selbst liegt, wenn man auf Borkum nicht, wie auf der Schwesterinsel Spiekeroog, vor den Häusern kleine, mit Staketten eingefaßte Blumengärten findet, dies bezeugt der kleine, aber niedliche Blumengarten des Herrn Amtsvogts Uhlenkamp hieselbst, worin vom Frühlinge an bis in den späten Herbst hinein viele Arten blühender Flora-Kinder in ihrer vollen Pracht, und gewiß eben so süß duftend wie auf Spiekeroog, anzutreffen sind. Dahingegen zeichnen sich viele hiesige Gärten dadurch aus, daß sie mit Wallfischrippen und Kinnbacken umzäunt sind; gewiß ein ausdruckvolles Sinnbild der früheren Beschäftigung der hiesigen männlichen Bewohner, nämlich des Wallfischfanges. Diese Bespickung der Gärten mit jenen colossalen Knochen der Meer-Riesen ist freilich nicht so zierlich, und liefert für die Nasen keinen so angenehmen Geruch, wie die süß duftenden Blumengärten auf Spiekeroog; allein sie machen auf den Beschauer, der nie solche riesige Knochen sah, einen interessanten Eindruck, und man muß für die Manen solcher Männer Achtung haben, die es wagten, im hohen Norden jene Meerungeheuer zwischen unermeßlichen Eisfeldern und unter den größten Gefahren aufzusuchen und zu erlegen. Diese colossalen Überbleibsel dienen daher zum Andenken an die Tapferkeit und den Heldenmuth der frühern Bewohner Borkums, und man muß mit Recht staunen, wie dieselben jene ungeheuer großen Massen von Wallfischknochen hieher gebracht haben, indem fast überall die Gärten mit denselben bespickt sind. Besonders sind solche Gärten und Häuser damit eingezäunt, in denen früher ein Commandeur, (soviel als Capitain) eines Schiffes, das auf den Wallfischfang ausging, wohnte. Solcher Commandeure gab es hier noch vor nicht gar langer Zeit einige vierzig, und alle Gärten und Häuser derselben waren mit einem solchen Saume von colossalen Gebeinen eingefaßt; daher die große Masse jener Wallfischrippen und Kinnbacken, welche man noch jetzt hier steht.
Von officinellen Pflanzen, d. h. solchen, die in den Apotheken gebraucht werden, wachsen hier besonders folgende:

  1. Der gemeine Flieder oder Hollunderbaum, Sambucus nigra L., wächst hier sehr häufig, und wird besonders als Heck um die Gärten benutzt. Seine schweißtreibende Kraft ist den Insulanern auch sehr gut bekannt, und sie sammeln deswegen alle Jahr eine Menge von den heilsamen Blumen dieses Baumes ein, um sie in vorkommenden Fällen von Erkältung als Hausmittel gebrauchen zu können.
  2. Die gemeine Kamille, Matricria chamomilla L. Auch diese heilsame, besonders krampfstillende Pflanze findet man hier hin und wieder zwischen dem Rocken und besonders auf dem Ostlande in großer Menge zwischen dem Rapsaat. Doch sind die herrlichen Früchte dieses vortrefflichen Krauts den Einwohnern noch nicht hinreichend bekannt, und es wird von ihnen meistens nur bei Kreisenden in Anwendung gebracht.
  3. Die Schafgarbe, Achillea Millefolium L. Diese Pflanze wächst hier in erstaunlicher Menge an Wegen und besonders auf den Wällen, womit die Gärten umgeben sind. Ihre Kräfte sind hier indeß gänzlich unbekannt.
  4. Gemeine Pappelblumen, Käsepappel, Malva rotundifolia. Malva silvestris L. Die guten erweichenden und besänftigenden Eigenschaften dieser, in großer Menge hier an allen Orten wachsenden, unscheinbaren Pflanze sind hier gleichfalls gänzlich unbekannt.
  5. Rainfarrenblumen, von Tanacetum vulgare L. Die wurmtreibende Kraft dieser in ungeheurer Menge hier überall sich findenden Pflanze ist den Einwohner Borkums recht gut bekannt; indeß wird sie nicht von ihnen als Hausmittel benutzt, sondern sie holen von mir in Wurmzufällen lieber das kräftigere Semen omae, den sogenannten Zittwersaamen.
  6. Tausendguldenkraut, Erythraea Centaurium L. Dieses herrliche Magenmittel bringt hier die Mutter Natur in einer solchen erstaunlichen Menge in einigen Dünenthälern hervor, daß in frühern Zeiten, als dieses kräftige Mittel noch mehr von den Ärzten benutzt wurde, davon ganze Säcke voll nach Holland ausgeführt wurden. Die hiesigen Einwohner kennen die magenstärkende Wirkung desselben recht gut, und bedienen sich desselben, mit Genever oder Branntwein angesetzt, bei Appetitlosigkeit und anderen Zeichen von Magenverderbniß manchmal mit großem Nutzen.
  7. Schöllkraut, Chelidonium majus L. Auch dieses gute, auflösende Kraut wächst hier sehr häufig, ist aber den Insulanern zum innerlichen Gebrauche unbekannt. Auch kennen sie die Warzen vertreibende Kraft das in dem Stengel desselben befindlichen Safts nicht; sondern sie wenden nur die frischen Blätter als ein Hausmittel bei allerhand unreinen Wunden und Geschwüren an.
  8. Erdschierling, Conium maculatum L. Dieses Gewächs ist hier auch gänzlich unbekannt, und ich habe erst mehreren Einwohnern Borkums die giftige Eigenschaft dieses gefleckten Schierlings kennen gelehrt.
  9. Bilsenkraut, Hyoscyamus niger L. Dieses giftige Kraut wächst hier auch ziemlich häufig; indeß kennen die Insulaner weder die heilsamen medicinisch-chirurgischen Kräfte des Schierlings, noch des Bilsenkrauts.
  10. Polei, Mentha Pulegium L. Dies Kraut wächst hier hin und wieder an feuchten Orten, und wird von den Einwohnern für den sogenannten Ehrenpreis (Veronica officinalis L.) gehalten, der indeß hier nicht gefunden wird.
  11. Lövenzahn (Kuhblume, Butterblume) Leontodon Taraxacum L. Dieses herrliche auflösende und zugleich bittere magenstärkende Mittel gedeihet hier, wie überall an anderen Orten, in großem Überflusse; seine kräftigen Eigenschaften sind den Einwohnern jedoch gänzlich unbekannt.
  12. Fieberklee, Bitterklee (hier Dreiblatt genannt) Menyanthes trifoliata L. Dieses köstliche bittere Mittel wächst hier in großer Fülle und wird auch von den Einwohnern sehr häufig als Magenmittel benutzt.
  13. Freisamkraut, Viola tricolor L. Die heilsamen Kräfte dieses hier in den Dünen häufig wachsenden Pflänzchens gegen Milchborke und andere Ausschlagskrankheiten, die hier noch hin und wieder vorkommen, sind den Insulanern völlig unbekannt.
  14. Klettenwurzel, von Arctium Lappa L. Auch von diesem Gewächse sind dessen verdünnende, alterirende Kräfte hier gänzlich unbekannt.
  15. Zaunrübe, Gichtrübe, Bryonia alba L. Dieses kräftige drastische Mittel findet man hier nur hin und wieder an Hecken und Zäunen, und die guten Eigenschaften der Wurzel desselben wodurch vielleicht die brechenerregende Wirkung der theuren ausländischen Ipecacuanha ersetzt werden könnte, ist hier zum Glücke nicht bekannt.
  16. Kalmus, Acorus Calamus L. Die herrliche magenstärkende Wirkung der Wurzel dieser Pflanze ist hier sehr gut bekannt.
  17. Herbstzeitlose, Colchicum antumnale L. Diese niedliche Pflanze wächst hier ziemlich häufig; ihre harntreibenden und anderen Kräfte sind hier jedoch unbekannt.
  18. Quecken, Triticum repens L. Dieses köstliche auflösende Amarum wächst hier sehr häufig; es wird von den Einwohnern getrocknet und dann den Kühen, welche es gerne fressen, gegeben. Den medicinischen Gebrauch kennen die Einwohner aber nicht.
  19. Hauhechelwurzel, von Ononis spinosa L., Wächst hin und wieder in den Dünen und an dürren, mit Heide bewachsenen Stellen der Insel.
  20. Verschiedene Orchis-Arten wachsen hier in den Wiesen.
  21. Schwarzer und weißer Senf, Sinapis alba et nigra L. Diese beiden Senfarten wachsen hier in großer Menge wild, besonders auf den, um die Gärten herum liegenden, Rainen, und werden von den Einwohnern die Saamen gequetscht und angefeuchtet als Würze zu Kartoffeln u. s. w. häufig gebraucht.

Dieses sind die häufigsten, hier wachsenden officinellen Pflanzen, welche mir bei meinen häufigen Streifereien auf der Insel bis jetzt bekannt geworden sind, und von denen zum Gebrauche ich meiner Handapotheke verschiedene Sorten jährlich einsammle und getrocknet aufbewahre.
Bernstein wird hier nur an einigen Stellen des Strandes gefunden, nämlich am südwestlichen und nordwestlichen.
In einer Bucht der Nordsee unweit der nordwestlichen Sandbank findet man Bernstein. Ich habe Stücke von allen möglichen Farben und Formen gefunden; besonders wird derselbe hier mit südlichen und vorzüglich, mit südöstlichen Winden an den Strand gespült. Ich fand daselbst im vergangenen Frühjahre ein Stück vollkommen durchsichtigen Bernsteins, das einem hellgelben Candis auf ein Haar gleich kam, die Länge von etwa 5 Zollen erreichte, und der Form nach einer Cigarren-Spize ziemlich ähnlich war. Jedoch sah ich noch kein einziges Stück, welches ein Thierchen einschloß; ich will indeß damit nicht behaupten, daß hieselbst solche Exemplare nicht vorkommen. In früheren Jahren fanden die Insulaner zuweilen bedeutend große Stücke am Strande; allein jetzt und, so lange ich hier wohne, ist noch kein Stück gefunden, das über 4 Loth wog. Vor einigen Jahren zog ein hiesiger Fischer auf der Austerbank ein Stück Bernstein von mehr als ½ mit dem Austernnetze vom Grunde des Meeres herauf. Auch hat man wohl einzeln große Stücke am südöstlichen Strande, z. B. vor einigen Jahren ein 12 Loth wiegendes Stück Bernstein im sogenannten Hop, der hiesigen Rhede, gefunden.
Gewöhnlich trifft man den Bernstein in der sogenannten Bernstein-Trifft an, die aus feinen und groben Stücken einer fossilen Holzart besteht, und manchmal in einer großen Ausdehnung von einigen Fuß Dicke von den Meereswellen an den Strand gespült wird.
Seegras kommt besonders im Frühjahre und vorzüglich im Spätsommer in erschrecklicher Menge an den Strand. Man legt sich hieselbst noch nicht recht darauf, hieraus einen Handelsartikel zu bilden; denn die Lasten, welche die hiesigen ärmern Einwohner auf dem Rücken vom Strande haben, könnte ja nur einen unbedeutenden Gewinn abwerfen. Man könnte indeß mit Wagen das vorher zusammengebrachte Seegras vom Strande holen und so ganze Schiffsladungen voll in den Handel bringen. Ich erbiete mich, die 100 ℔ von Sand und anderen Beimischungen gesäuberten, gut getrockneten Seegrases für 5 Gulden holl. frei nach Emden oder Greetsyhl an eine mir zu gebende Adresse zu liefern, wenn man mir in den nächsten Monaten Bestellungen zukommen läßt.
Hinsichtlich der Producte des Thierreichs bemerken wir, daß hier im vergangenen Herbste 213 Stücke Hornvieh, ohne die Kälber mitzurechnen, gezählt wurden. Die davon erzielte Butter ist sehr schmackhaft, und wird theils auf der Insel verzehrt, theils nach dem Festlande ausgeführt, und auch ein großer Theil desselben von den sogenannten Blankenefer Ewerleuten, welche in der Gegend von Borkum vom Frühjahre bis zum späten Herbste mit dem Fischfange beschäftigt ind, verspeist. Die hiesige Art Rindvieh ist nur klein; sie geben jedoch bei dem Futter und der Weide am Festlande auch viel mehr Milch, als man hier bei der schmalen Kost von ihnen verlangen kann, und es geben im Herbst eine Menge derselben, die bei spärlichem Heuertrage nicht durch den Winter kommen würden, nach Ostfriesland und besonders nach Holland, allwo schon eine gute junge Borkumer Kuh mit 60 bis 70 Gulden holl. bezahlt worden ist. Käse wird hier nicht gemacht, sondern der hier Befindliche vom Festlande eingeführt. Gewöhnlich zu Ende Aprils werden alle des Morgens um 4 Uhr Kühe in die Weide binnen dem Deiche getrieben, und kommen gegen Sonnenuntergang wieder nach Hause. Man hält hier jedoch keinen eigenen Kuhhirten, eine z. B. im Althannoverschen und Westphalen, sondern das Geschäft desselben wird von den Besitzern des Hornviehs selbst verrichtet, so daß er für jedes Stück desselben einen Tag lang die ganze Heerde, welche aus 2 Abtheilungen, der nördlichen und der südlichen Hälfte, besteht hüten muß. Die Milch kostet hier Jahr aus Jahr ein der Krug 1 Stüber Holl. Auch die hiesige Pferde-Race ist keine besondere, was wohl dem einzigen Hengste, der sich früher hieselbst befand, zuzuschreiben ist, indem derselbe von allen Kennern für kein edles Thier gehalten wurde. Das Beste wäre, um wieder an eine gute und dauerhafte Pferde-Race zu kommen, einige Stuten- und Hengstfüllen aus Norwegen zu verschreiben, und so wieder die ehemalige Race von Pferden zu erzielen, die an Dauerhaftigkeit fast alle andre Sorten übertreffen und auch mit geringer Weide vorlieb nehmen. Die Pferde weiden auf Borkum fast das ganze Jahr hindurch draußen im Weidelande an den Dünen; selbst im Dorfe laufen sie zu Zeiten und häufig bei der Nacht frei herum, und suchen, besonders wenn im Frühjahre und Spätherbste kein Gras in dem Weidelande zu finden ist, überall ihre Nahrung. Nur in den Winterabenden kommen sie auf den Stall, und müssen sich dann häufig mit Heu behelfen; sehr wenige Pferde, glaube ich, giebt es hier, denen auch Hafer zum Futter gereicht wird, indem dieselben so viel nicht verdienen können, daß der Besitzer Hafer, welcher hier nur von den großen Ländereibesitzern gebauet wird, vom Festlande kommen zu lassen vermag. Man zählt jetzt beinahe 50 Pferde, worunter sich indeß kein einziger Hengst befindet.
Was nun die Schaafe betrifft, so steht dabei zu bemerken, daß sie nicht so groß wie die Ostfriesischen Schaafe dagegen aber auch dauerhafter sind, und hinsichtlich ihres kleinen Körpers dennoch eine verhältnißmäßig große Quantität ziemlich guter Wolle liefern. Auch ihr Fleisch soll nach Aussage aller hiesigen Einwohner nicht den strengen Geschmack besitzen, welchen man wohl an dem Fleische der Schaafe des Festlandes zu tadeln pflegt. Ihre Anzahl überstieg vergangenes Jahr weit über dreihundert. Auch diese Thiere werden fast das ganze Jahr hindurch draußen in die Weide gejagt, und nur wenn das Erdreich mit Schnee bedeckt ist, auf dem Stalle mit Heu gefüttert.
Schweine werden hier jährlich wohl an die 60 Stück geschlachtet, deren Gewicht von 2 bis 350 ℔ u. m. beträgt; auch behaupten die Insulaner, daß das Speck der hiesigen Schweine schmackhafter ist, als das am Festlande, weil man die Schweine hier von Anfang nur mit Buttermilch, und Kartoffeln, später meistens mit Gerste auf dem Stalle mästet.
Von zahmem Geflügel giebt es hier Hühner, deren Anzahl jedoch nicht groß ist. Die Eier gelten sonderbarer Weise, (eben so wie die Milch der Kühe im Winter und im Sommer à Krug einen Stüber Holl. kostet), immer gleichviel, nämlich das ganze Jahr hindurch à Stiege 5 Stüber holl.
Gänse waren hier noch vor wenigen Jahren eine große Menge, jetzt sieht man indeß keine einzige mehr, indem die Gänse durch das freie Umherlaufen das Weideland solchergestalt verunreinigten, daß die Kühe und andres Vieh das Gras davon kaum noch fressen wollten. Man hat deshalb sämmtliche Gänse geschlachtet. Sollte man aber mit denselben nicht eben so verfahren können, wie in andren Gegenden unsers deutschen Vaterlandes, allwo diese nützlichen Geschöpfe durch einen Gänsehirten auf einer bestimmten Stelle des Gemeindelandes, woselbst sich Wasser befindet, gehütet werden, welche dafür sorgen müssen, daß die Gänse nicht in die andren Weideplätze und Felder dringen und dort Unheil anrichten? Die sogenannte Kievitsdelle, ein großes, langes Thal in der südlichen Düne, paßte zu dem Zwecke ganz vorzüglich, indem sich in demselben nicht allein viel stehendes Wasser befindet, sondern die Gänse daselbst auch von einem Kinde recht gut gehütet werden können. Anstatt daß die sich hier Verheirathenden eine Menge Geldes für die Federn zu ihrem Bette ausgeben müssen, könnten sie selbst von Jugend auf, wenn hier Gänse wären, zu obigem Zwecke, Federn sammeln, und hätten obendrein noch das Fleisch der Gänse, so daß alles Geld, was jetzt für Federn ausgegeben wird, hier bleiben und zu etwas Anderm verwendet werden könnte.
Auch Tauben giebt es hier gar nicht; ob dieselben sich hieselbst im Freien nicht ernähren können und deshalb ihre Futterung auf dem Schlage zu theuer kommt; oder ob sie nach dem Festlande überfliegen, wenn man sie frei umherfliegen und sich selbst ihre Nahrung suchen ließe, das weiß ich nicht anzugeben.
Wildprett giebt es hier nur Kaninchen. Ihre Anzahl ist sehr verschieden, und richtet sich nach der Nässe oder Trockenheit eines Jahres. In diesem Jahre sind viel mehr gefangen als im vorigen, weil vergangnes Jahr ein trocknes und 1842 ein ziemlich nasses Jahr war, welches letztere ihnen verderblich scheint. Die jährliche Pacht von 36 Rt gehört zu den Königlichen Domanial-Einkünften und der Pächter muß schon eine vorzüglich gute Erndte an Kaninchen halten, um jene Pacht von dem Erlöse der Felle bezahlen zu können. Dafür hat aber auch der Pächter das Recht, in den Dünen Kaninchen zu fangen und zu erlegen wenn er will, und darf jeden Hund, der sich ungebängelt in und außer den Dünen sehen läßt, ohne Strafe dafür zu geben, todtschießen.
Hasen wollen in Borcum durchaus nicht gedeihen. Sollten etwa Kaninchen und Hasen natürliche Feinde sein? Ich möchte dies wohl wissen, und zugleich in Erfahrung bringen, ob es nicht möglich wäre, auf Borcum eine Hasen-Kolonie anzulegen? Eine Beantwortung dieser Frage in der Frisia würde mir sehr gelegen kommen, und der darin ertheilte Rath gemäß dankbar in Anwendung gebracht werden.
Rebhühner giebt es hier hin und wieder einzelne; doch habe ich noch nie eine ganze Kette derselben gesehen. Auch Moorhühner bekommt man zuweilen zu sehen. Von Schnepfen finden sich hier verschiedene Arten vor. Wilde Enten giebt es hier in großer Anzahl; vorzüglich sind die sogenannten Bergenten, welche in den unbewohnten Höhlen der Kaninchen, die sich in den Dünen befinden, nisten und zuweilen 20 und mehrere große Eier legen, bevor sie zu brüten beginnen. Auch zahme Enten werden hin und wieder gehalten.
Rebhühner giebt es hier hin und wieder einzelne; doch habe ich noch nie eine ganze Kette derselben gesehen. Auch Moorhühner bekommt man zuweilen zu sehen. Von Schnepfen finden sich hier verschiedene Arten vor. Wilde Enten giebt es hier in großer Anzahl; vorzüglich sind die sogenannten Bergenten, welche in den unbewohnten Höhlen der Kaninchen, die sich in den Dünen befinden, nisten und zuweilen 20 und mehrere große Eier legen, bevor sie zu brüten beginnen. Auch zahme Enten werden hin und wieder gehalten.
Von Seevögeln giebt es auf Borcum, wie sich leicht denken läßt, vielerlei Arten, als: Möven, sogenannte Kobben ꝛc. Auch habe ich schon den schönen und großen Seevogel „Jan van Gent“ hieselbst bemerkt und häufig wilde Gänse zu Dutzenden bei einander stehen sehen, so daß hier ein Jagdliebhaber viel Vergnügen genießen könnte, wenn nicht das Schießen auf Seevögel bei 5 Rthl. Strafe gänzlich verboten wäre. Es ist dies indeß eine löbliche Vorschrift, und besonders zu der Zeit des Brütens der Seevögel sehr wirksam, indem durch das Schießen die sehr scheuen Seevögel vielleicht von hier fortzogen und sich ruhigere Wohnsitze aufsuchten, wo sie das Brüte-Geschäft sicher verrichten können. Allein wenn diese Zeit vorüber ist und die sogenannten Zugvögel, deren es hier im Spätherbste eine große Menge giebt, erscheinen; denn wäre es vielleicht nicht mehr so schädlich und für die Insulaner sehr wünschenswerth, wenn es zu jener Zeit, etwa vom October bis zum Januar oder Februar, erlaubt würde, auf solche Zugvögel, namentlich wilde Gänse ꝛc., die hier nicht bleiben, und folglich auf Borcum auch nicht brüten, Jagd zu machen, indem man hier in jener Zeit außer Kaninchen, die jedoch nur von der Mitte Decembers bis zur Mitte Januars gefangen werden, kein frisches Fleisch haben kann, und dann ein solcher Vogel ein großer Leckerbissen ist. Die meisten Seevögel legen ihre Eier in den Dünen, viele jedoch auch auf die Weide und an andere, von Menschen nicht sehr besuchte, Stellen der Insel. Diese Eier dürfen jetzt nur einmal in der Woche gesucht werden; allein, obgleich das Verbot, dieselben nur einmal wöchentlich zu suchen, bei Glockenschlag jedesmal vor der Brütezeit bekannt gemacht wird, so stört man sich hier doch nicht viel daran, sondern nimmt alle Eier, die man findet, ohne Scheu mit; ja viele Einwohner laufen in der Brütezeit alle Tage in den Dünen herum um Eier zu suchen, und nehmen alle, die sie finden, mit sich fort, so daß, wenn dem Verbote: nur einmal wöchentlich Eier suchen zu dürfen, entsprochen werden und die Seevögel an Zahl zunehmen sollen, eine bei weitem strengere Aufsicht während der Brütezeit der Vögel stattfinden müßte.
An Singvögeln haben wir hier, außer der Lerche, welche hieselbst sehr zahlreich ist, keine. Nachtigallen sind noch nie bemerkt worden. Dagegen sind hier fast das ganze Jahr hindurch die Staare in großer Anzahl anzutreffen, und man hat dieselben hieselbst so lieb, daß man ihnen an den meisten Häusern kleine Behälter von Brettchen mit einer Oeffnung erbauet hat, worin sie jedes Jahr zu hecken pflegen, und dafür ihre Wohlthäter schon sehr früh des Morgens mit ihren angenehmen Flötentönen ergötzen. Im Herbste erscheinen sonderbarer Weise auf der Insel, zumal bei östlichen Winden, häufig eine große Menge kleiner Vögel, welche man hier „Ostwindvögel“ zu nennen pflegt, und die aus den sogenannten Meisen, Rothbrüstchen, Rothschwänzchen ꝛc. bestehen. Eben so schnell, wie diese kleinen Geschöpfe erscheinen, sind sie auch wieder verschwunden. Ob diese Thiere zu jener Zeit vielleicht aus dem hohen Norden kommen, und sich hieselbst von ihrer Reise etwas ausruhen, und dann weiter in südlichere Länder ziehen, kann ich nicht genau angeben, wage es indessen zu glauben, indem ihr Aufenthalt hieselbst nur von einer so kurzen Dauer ist, und sie dabei in einer so großen Anzahl und so plötzlich erscheinen, und ebenfalls so schnell allesammt wieder von hier sich fortbegeben.
Sperlinge giebt es hieselbst, wie überall, in großer Menge. Auch Schwalben finden sich hier ein, so wie auch wohl ein oder zwei Störche; doch nisten letztere hier nicht. Seit einiger Zeit bemerkt man auch einzelne Fischreiher. Kibitze erscheinen hieselbst schon sehr früh im Jahre, meistens im Anfange des März, und bleiben bis spät in den Herbst hinein auf der Insel. Auch Krammetsvögel und andere Drossel-Arten lassen sich hier in den nebligen Herbsttagen sehen. Eine Menge dieser letztern fliegt denn bei der Nacht gegen das Glas der Lampenmaschine an dem Leuchtthurme, indem sie wahrscheinlich meinen, ohne Gefahr durch die von dem Leuchtfeuer bewirkte Helle hindurchstreichen zu können, und brechen dabei den Hals, weil sie mit aller Gewalt gegen das dicke Fensterglas der Maschine anfliegen, und durch den erlittenen schweren Stoß gegen den Schnabel getödtet werden.
Auch findet sich hier eine große Eulen-Sorte, welche den jungen Kaninchen nachstellt und, sowie Habichte und einzelne Falken, der Kaninchenjagd vielen Schaden zufügen.
Was nun die Amphibien betrifft, so finden sich hier Frösche, welche durch die sonderbare Laune eines ehemaligen Strandarztes vor etwa 100 Jahren von Holland hieselbst eingeführt sind und sich außerordentlich vermehrt haben; auch giebt es Kröten, jedoch habe ich noch keine einzige Land- oder Wassereidechse bemerkt. Desgleichen sieht man hier keine Schlangen.
Von Süßwasserfischen giebt es hier, besonders in den Kolken, nur Aale, die jedoch keinen solchen häßlichen Beigeschmack haben, als wohl anderswo den in stehenden Gewässern gefangenen Aalen eigen ist. Ich glaube, daß man hier andere Fische, die in Teichen erzogen werden, wie Schleye, Karpfen, Hechte ꝛc., recht gut in den hiesigen stehenden Gewässern, z. B. in dem Graben, der sich um die im Meedelande liegende Batterie herumzieht, halten könnte. Zum wenigsten wäre wohl ein Versuch mit diesem vielen Gewinn abwerfenden Industrie-Zweige zu machen.
Seefische giebt es am Strande sowohl als auch in der Ems und oberhalb der Insel in der Nordsee in erstaunlicher Menge und in vielen Sorten. Im Anfange des Frühjahrs fahren die meisten Schiffer von hier einige Meilen in die Nordsee hinauf, und fangen dann mit Netzen (nicht mit Angeln, wie die Norderneyer und andere Fischer wohl zu thun pflegen) oft eine erstaunliche Menge Schellfische, Schollen, Steinbutten, Zungen, Kabliauen und Rehen, und bringen dieselben dann meistentheils in die Ostfriesischen Hafenörter zum Verkaufe. Schollen und Butte werden meistens von ihnen lebendig zu Markte gebracht, indem ihre Schiffe, die sogenannten Butt-Aken, dazu eingerichtet sind, daß die Fische immer frisches Seewasser in ihren Behältern erhalten können.
Rehen werden von den ärmern Insulanern an einer Bucht des südwestlichen Strandes manchmal in erstaunlicher Menge in besonders dazu eingerichteten Netzen gefangen und häufig ereignet es sich denn auch, daß Haye u. a. Raubfische, die den Rehen nachstellen, mit gefangen werden.
Von Schaalthieren finden sich hier in der Gegend der Rhede, in der sogenannten „Muschelbucht“ ein großes Lager von eßbaren Muscheln, welche im Winter vielen Einwohnern auf Borkum ein schmackhaftes, nahrungsreiches und unentgeldliches Gericht verschaffen. Im Sommer wird hier und auch an andern Stellen des Watts, wo sich Muschellager befinden, eine große Menge Muscheln (Schille) gegraben, und nach dem Festlande gebracht, um alldort zu Kalk gebrannt zu werden. Der Strand liegt voll von allerlei Arten zuweilen ganz allerliebster Muscheln, groß und klein, die mit den schönsten Farben geschmückt und herrlich gezeichnet sind, so daß für einen Liebhaber von Conchylien hieselbst eine große Ausbeute von dergleichen Spielereien der Natur zu finden sein wird. Ja schon für den gewöhnlichen Mann, der auch keine Sammlung von Conchylien besitzt, hat der wunderbare porcellainartige Glanz, der im Sternenscheine bei einigen Muscheln wie Emaille erscheint, ihre manchmal vortrefflichen Farben, ihre häufig regelmäßige und saubre Zeichnung und andre Schönheiten, etwas sehr Angenehmes, und man kann nicht umhin, auch hierbei sich der Weisheit und Güte des Schöpfers zu erinnern, welcher uns die Muscheln theils zum Nutzen und theils zum Vergnügen in so großer Anzahl und in so verschiedenen Spielarten schenkte.
In der See, und auch todt am Strande liegend, findet man häufig eine Menge Seesterne, die auf denjenigen, der noch nie solche Seegeschöpfe sah, einen interessanten Eindruck machen. Auch findet sich hier wohl hin und wieder auf der Austernbank die sogenannte „Seeraupe“ vor, welche man hier „Seemaus“ zu nennen beliebt. Im vergangenen Jahre fand ich am Strande im Seegrase ein lebendes schönes Exemplar einer solchen Seeraupe, und schickte dasselbe an die naturhistorische Gesellschaft in Emden. Ich hatte noch nie ein solches Geschöpf gesehen, und wußte ihm auch deshalb keinen Namen zu geben. Indessen versicherten mir die Schiffer, welche sich mit dem Austernfange beschäftigen, daß sie dieses Thier „Seemaus“ nennten, und es häufig auf der Austernbank mit den sogenannten Austernbügeln vom Grunde des Meeres heraufholten. Ich erfuhr jedoch durch die Güte des Herrn Dr. Prestel zu Emden, daß es die sogenannte „Seeraupe“ Aphrodita aculeata Linn., Halithea aculeata Savigny ist.
Die Familie der Quallen ist hier äußerst zahlreich, und in allen möglichen Farben-Nüancen und Zeichnungen zu finden, sowohl auf dem Grunde des Meeres als auch am Strande. Sie erscheinen manchmal bei Sonnenschein in allen Farben des Regenbogens, und liefern für den Beschauer ein angenehmes Schauspiel. Wie schön nimmt sich die Verbreitung der Gefäße in jenen Weichthieren aus, und wie genau kann man bei ihrer Durchsichtigkeit das Innere jener merkwürdigen Mollusken-Art erkennen und bei näherer Besichtigung ihren Bau studiren!
An den Theilen des Strandes, wo der Boden kleiig ist, besonders auf dem Watte an der südlichen Seite der Insel, bemerkt man eine ungeheuer große Anzahl kleiner aufgeworfener Häuschen Erde, von denen der Unkundige nicht weiß, was er daraus machen soll. Diese Häuflein sind von einer Art Würmern bewirkt, welche wohl von den Fischern, z. B. den Norderneiern u. a. Insulanern, als Köder an den Angeln zum Fischfange gebraucht werden, und zur Ebbezeit vor ihren Verfolgern, den Seevögeln einige Fuß tief in den Boden sich eingraben, und dadurch jene kleinen Hügel von Erde hervorbringen.
Hinsichtlich der Austern bemerke ich hier, daß der Fang derselben an einige hiesige Schiffer für etwa 200 Rthlr. Gold, verpachtet ist, und jene dafür eine gewisse Anzahl Austern zu fangen berechtigt sind. Auch müssen sie alle auf der Insel Norderney während der Bade-Saison zu verzehrenden Austern für einen festgesetzten Preis, wenn ich nicht irre, das große Tausend (1200) zu 27 fl holl., liefern, und zu dem Ende in der Badezeit alle 14 Tage auf einem Schiffe frische Austern nach Norderney bringen. Die Austernbank befindet sich an den Seiten des an der west- und nordwestlichen Seite der Insel gelegenen sogenannten Borkumer Riffs. Ich behalte mir vor, über das Nähere des Austernfanges etwas Ausführlicheres zu erzählen.
Von Insecten bemerkt man besonders Krabben, die sich an allen Orten im Seewasser aufhalten, und deren einige an den tiefsten Stellen des Meeres zu einer enormen Größe anwachsen, und ein sehr schmackhaftes und leichtverdauliches Gericht liefern. Auch gab es hieselbst, besonders in der sogenannten Granatenkille, welche auf der hiesigen Sommerrhede befindlich ist, eine große Menge Garnelen, hier „Granaten“ genannt; allein es scheint, als ob die jungen Schollen und Butte, welche sich jetzt an jener ziemlich tiefen und weichen Stelle der Sommerrhede aufzuhalten und daselbst in großer Menge gefangen zu werden pflegen, die Garnelen, worauf jene Fische besonders äsen, beinahe ganz ausgerottet und verjagt haben. Denn seit einigen Jahren werden nur noch wenige Garnelen gefangen, und auch an anderen Stellen des Strandes finden sie sich nicht sehr häufig. Außer wilden Bienen und Hummeln, die hier hin und wieder in den Dünen u. s. w. zu nisten pflegen, findet man hieselbst keine Bienen. Früherhin soll hier einmal ein Bauer auf dem Ostlande zahme Bienen gehalten und sich nicht schlecht dabei gestanden haben, und ich glaube wohl, daß man auf Borkum, wo so viel grünes Land und auch etwas Haidekraut, eine Lieblingsblume der Bienen, angetroffen wird, recht gut Bienen halten könnte; zum wenigsten sollten die Bauern auf dem Ostlande, wo man so herrliche Rappsaat bauet, auf diesen schönen Blumen, deren Saft ja eine Hauptnahrung der Bienen ist, letztere gewiß halten können, zumal die Rappsaat-Ländereien daselbst einen ziemlich bedeutenden Umfang haben, und sich die Bienen zur Blüthezeit jener nützlichen Pflanze ganz allein davon zu ernähren vermögen. Außerdem ist dort ja auch eine große Menge Wiesenland u. s. w., von dessen Blumen die Bienen im Sommer gewiß recht gut zu unterhalten sind. Es wäre daher wohl der Mühe werth, daß auf dem Ostlande zum wenigsten ein Versuch mit der Bienenzucht, diesem einträglichen Geschäfte, gemacht würde.
Die Zahl sämmtlicher Bewohner der Insel beläuft sich nicht über 400; hievon wohnen etwa 370 in 77 Häusern auf dem West- und 30 in 5 Häusern auf dem Ostlande. Jedoch nimmt die Bevölkerung wegen der geringen Mortalität hieselbst alljährlich zu, indem im Durchschnitte 10 Kinder in jedem Jahre geboren werden, und dagegen etwa 2—4 jährlich von der Bevölkerung sterben. Früherhin war Borkum bedeutend volkreicher, und es wohnten zur Zeit des Wallfischfangs in der Davis-Straße, und als diese Thiere noch mehr in den nördlichen Meeren gefangen wurden, auf der Insel nach Aussage vieler alten hiesigen Einwohner wohl 1000 bis 1200 Menschen; allein seitdem jenes für Borkum so einträgliche Gewerbe, woran beinahe die sämmtliche männliche Bevölkerung Theil nahm, zu blühen aufgehört hat, ist auch die Population von Jahr zu Jahr vermindert worden, indem viele Borkumer mit ihren Familien von hier wegzogen und sich anderswo, besonders in Hamburg und Amsterdam, Wohnsitze verschafften. Von daher kommt es nun auch, daß früherhin so viele Häuser leer standen und verfielen; ja daß man jene leerstehenden Gebäude, um keine Grundsteuer davon zu bezahlen, oder weil ihre Unterhaltung zu viel kostete, und die Häuser wegen des Mangels an Bewohnern doch leer stehen mußten, für einen Spottpreis zum Abbruch verkaufte, die Mauersteine zu Wällen um die Gärten verwendete und den Hausplatz in einen Garten, der doch wenigstens etwas einbrachte, umschuf. Es sollen auf diese Weise wohl über die 100 Häuser abgebrochen sein, und man findet überall in den Gärten noch Reste von dem Mauerwerke im Boden. Allein jetzt fühlt man bei jährlicher Zunahme der Bevölkerung den Mangel an Wohnungen recht empfindlich, und Jemand, der kein eigenes Haus besitzt, mag froh sein, wenn er in irgend einem Hause eine Wohnung zur Miethe bekommen kann. Ueberdies nehmen die wenigsten Einwohner gerne Miethsleute ein, indem ihnen dies theils zu unbequem ist und nicht genug einbringt, und weil sie auch durch Vermiethung ihrer Zimmer an die Badegäste für die kurze Zeit der Bade-Saison mehr damit verdienen und nur 1 Monat bis 6 Wochen in ihren Häusern sich dadurch beengt fühlen. Auch sind die Häuser, welche jetzt vielleicht durch den Tod deren Besitzer käuflich werden, so erschrecklich theuer, daß sie den eigentlichen Werth der Gebäude bei weitem übertreffen. Alles rechnet hiebei auf die Aussicht, die Zimmer an Badegäste vermiethen zu können, und aus dem Erlöse der Miethe die hohen Interessen des Capitals, das Behufs des Kaufpretii der Häuser aufgenommen werden müßte, zu erzielen. Allein wie würde es hiermit aussehen, wenn auf einmal oder auch nach und nach jene Conjuncturen aufhörten, und die Zahl der Badegäste so abzunehmen begönne wie sie seit einem Paar Jahren an Anzahl zugenommen hat? Woher sollten dann die hohen Zinsen des angeliehenen Capitals genommen werden? Es ist wahrlich zu arg mit dem Häuserpreise, und es werden hier Häuser zu 1000 und mehr Gulden Holländisch verkauft, die in frühern Zeiten kaum für 4—500 Gulden an den Mann gebracht werden konnten. Wenn die Population so sich zu vermehren fortfährt, wie bis jetzt geschehen ist, so müssen unstreitig noch viele neue Häuser angebauet werden, sonst wüßte ich nicht, wo die jungen Ehepaare, deren es alle Jahre wenigstens 4 giebt, wohnen sollen. Ich habe jetzt ein großes leerstehendes Haus, worin sich 3 Zimmer und ein großes Hinterhaus befinden, und das von einem ziemlich guten Stücke Gartengrunds umgeben ist, auf 5 Jahre gemiethet, und kann 2 Zimmer davon, die nach der hiesigen Bauart an einander stoßen, und in denen sich 2 Bettstellen nebst einem Camine befinden, gleichalls an Badegäste vermiethen, und es würden kranke Badegäste, die sich meiner besondern Obhut anvertrauen wollen, von mir in meiner Wohnung mit Vergnügen aufgenommen werden. Ich mache dies schon jetzt bekannt, damit sich diejenigen, welche Borkum mit ihrem Besuche beehren, und in der Nordsee ihre verlorne Gesundheit restauriren wollen, frühzeitig an mich und meine ganz angenehm an dem grünen Weidelande liegende Wohnung wenden können. Ich kann jedoch nur eine Familie oder ein Paar Kranke, die selbst für Betten sorgen müssen, in meinem Hause aufnehmen.
Vor Anfang der Bade-Saison werde ich eine Liste von sämmtlichen Wohnungen, worin Badegäste aufgenommen werden können, aufnehmen und es würden sich dann diejenigen, welche auf längere Zeit hier zu bleiben wünschen, an mich zu wenden haben, damit ich für sie eine Wohnung fest miethen kann.
Im vergangenen Jahre wurde hieselbst außerhalb des Dorfs und zwar in dem sogenannten „Olle Gapp“, einer unterhalb der südwestlichen Dünen belegenen sumpfigen Stelle, aus alten und neuen Materialien ein Häuschen errichtet, welches die „Rüstenborg“ benannt wird, und dessen Besitzer, dem Schneider Jakob Siebolds Poppinga, von der Regierung in jener bis jetzt uncultivirten Gegend des Eilandes einige Diemathe jenes wüst liegenden Grundes in Erbpacht verliehen. Auch sind daselbst noch mehreren hiesigen Einwohnern vom Staate wüst liegende Ländereien zur Urbarmachung in Erbpacht gegeben, und es werden wohl in der Folge in dem „Olen Gapp“ noch mehrere neue Häuser angebaut werden.
Wahrscheinlich waren zu der Römer Zeiten die Bewohner der Insel Borkum Chauken oder Friesen; der vormalige Prediger Nicolai hieselbst fand im Jahre 1789 westnordwestwärts vom Borkumer Thurm nach einem heftigen Sturme auf einer hohen Außenbank heidnische Ueberbleibsel von den ältesten Bewohnern des Eilandes.