Details
  • Titel:Amtsantrittsrede von Bürgermeister Fritz Klennert
  • Veröffentlichung:08.10.1946
  • Ort:Ratssaal, Rathaus, Borkum
  • Sprache:Deutsch
Autor
Verfügbarkeit
  • Urheberrecht:Gemeinfrei

Seine Antrittsrede als Bürgermeister der Gemeinde Borkum hielt Fritz Klennert am 8. Oktober 1946 im Ratssaal des Rathauses in der konstituierenden Sitzung der zweiten Wahlperiode des Rates direkt nach seiner Wahl. Die Rede ist gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 2 UrhG frei von Urheberrechten.

Digitalisierter Volltext

Meine Herren!
Ich danke Ihnen für die Wahl und das dadurch in mich gesetzte Vertrauen. Somit stehe ich nun als von der Mehrheit der Einwohner gewählte Bürgermeister vor Ihnen. Ein Mann, der wirtschaftlich und materiell arm ist, aber als Sozialist reich ist an sittlichen Idealen und voll von uneigennützigen Streben für die Allgemeinheit.
Die Wahl ist vorüber. Die Einwohner haben gesprochen - das Ergebnis sitzt hier in der Runde. Damit ist auch der Wahlkampf und das sich gegenseitige Zähne zeigen vorbei.
Angesichts der ungeheuren Notzeit in der wir leben und der Sorgen die auf unseren Schultern lasten, wollen und müssen wir in gegenseitiger Achtung im Interesse unserer Schicksalsgemeinschaft die wir auf der Insel nun einmal sind, zusammen arbeiten und zusammen alle Probleme lösen. Meinungsverschiedenheiten müssen sachlich ausgeglichen werden. Wo es keine Meinungsverschiedenheiten geben kann ist in der Frage unserer Existenz. Unsere einzige Existenz ist die Saison, mit dieser stehen oder fallen wir.
Unserer aller Pflicht ist es, daran zu arbeiten diese Existenz über alle Schwierigkeiten des verlorenen Krieges hinweg zu erhalten und wiederauf- und auszubauen. Hierzu gebrauchen wir natürlich die Unterstützung und Einsicht der Militärregierung. Es darf kein Mittel und kein Weg unversucht gelassen bleiben um diese von der Militärregierung zu erhalten. Um eine wertvolle Arbeit für die Allgemeinheit aus diesem Gemeinderat zu erreichen darf es nicht so werden, dass wir die Zeit damit vertreiben uns gegenseitig zu bekämpfen. Es darf aber auch nicht sein, dass der wirtschaftlich Starke sich anmasst, den wirtschaftlich Schwachen wirtschaftlich und politisch zu bevormunden.
Der Vergangenheit möchte ich nachrufen und der Zukunft damit warnen: Es nützt nichts mit Engelszungen zu reden, wenn man mit Teufelswerkzeug arbeitet.
Meine Herren!
Sie verfluchen alle die Nazidiktatur die wir jetzt überwunden haben. Sie fürchten alle die Diktatur aus dem Osten. Dann müssen Sie es aber auch ablehnen und verwerfen die Methoden dieser Diktaturen in unsere Demokratie hineinzutragen. Es ist unmöglich, dass man einen unbequemen politischen Gegner wirtschaftlich ruiniert um ihn politisch gefügig oder gar unschädlich zu machen.
Meine Herren! Demokratie ist der Begriff der politischen Anständigkeit und gegenseitiger Achtung.
Vor uns sind alle gleich, reich und arm oder deutlicher gesagt, es ist gleichgültig ob einer aus den sogenannten besseren Kreisen oder ein Arbeiter zu uns kommt. Wir haben nur einen Maßstab. Es ist gleichgültig, welcher konfessionellen oder politischen Anschauung sie sind. Und doch müssen uns die wirtschaftlich Schwachen, die Opfer des Krieges, Kriegerwitwen, Waisen und Kriegsbeschädigten usw. näher am Herzen liegen. Nicht zuletzt die Vertriebenen die zu uns gekommen sind und denen wir in der Kaserne ein provisorisches Obdach gegeben haben. Diese Menschen haben materiell alles und noch dazu ihre Heimat verloren. Teils fehlen die Männer und Väter, die noch in Gefangenschaft oder von dem grausamen Krieg schon abgeschrieben sind. Teils sind die Familien noch auseinandergerissen und wissen voneinander nicht wo sie sind. Sie stehen hier und wissen nicht wie ihr Leben weitergeht. Sie hoffen, aber keiner weiss ob sie jemals ihre Heimat wiedersehen. Es wird wohl so werden, dass man ihnen in dem uns verbleibenden Deutschland eine neue Heimat geben muss.
Aus dem Gesamtüberblick unserer Notzeit wird sich ergeben, dass wir den wirtschaftlich Starken, Kriegsgewinnlern und Nutzniessern der Nazizeit gegenüber, zu Gunsten der Notleidenden noch sehr oft unpopulär werden müssen.
Meine Herren! Dazu muss ich ihnen sagen: Ohne Leid kein Mitleid, ohne Mitleid keine Nächstenliebe, ohne Nächstenliebe kein Sozialismus und ohne Sozialismus kein Christentum!
Diese stufenweise sittliche Höherentwicklung darf nun keine Angelegenheit unserer verstandesmässigen Ueberlegung bleiben sondern muss die Grundlage und die Wurzel unseres Innenlebens sein. Und aus diesem Innenleben muss die Initiative all unseres Handelns ausstrahlen zum Wohle unserer Gemeinde.