Details
  • Titel:Tönjes Kieviet Gedächtnisrede
  • Veröffentlichung:01.12.1957
  • Ort:Wandelhalle, Borkum
  • Sprache:Deutsch
Autor
Verfügbarkeit
  • Urheberrecht:Gemeinfrei

Eine Gedächtnisrede für Tönjes Kieviet hielt Bürgermeister Fritz Klennert am 1. Dezember 1957 bei der Enthüllungsfeier für ein Kieviet gewidmetes Relief und eine Gedenktafel in der Wandelhalle.

Digitalisierter Volltext

Sehr verehrte Anwesende, meine Damen, meine Herren,
Im Namen des Rates begrüße ich Sie zur heutigen Feierstunde aufs herzlichste. In Verbindung hiermit möchte ich Ihnen auch gleichzeitig die Grüße des Herrn Regierungspräsidenten, des Herrn Landrats und Oberkreisdirektors übermitteln.
Meine Damen und Herren, heute wollen wir einen Mann ehren, der sich um unser Inselland große Verdienste gemacht hat. Eine Persönlichkeit, die der Borkumer Geschichte seinen eigenen Stempel aufdrückte und für diese unauslöschlich ist: Herrn Tönjes Kieviet, den ersten Bürgermeister unserer Insel Borkum.
Bürgermeister Kieviet ist am 12. März 1865 als Kind unserer Insel geboren. Am 22. Juni 1892 wurde er in das Amt als Gemeindevorsteher eingeführt. Damals ahnte der 27-Jährige wohl noch nicht, welche Lebensaufgabe und Arbeit seiner harrte. Die wirtschaftlichen Verhältnisse unserer Insel und des Bades bewegten sich zu der Zeit noch in recht bescheidenem Maße. Borkum zählte bei seinem Amtsantritt ca. 1.000 Einwohner. Die Zahl der Kurgäste lag um die 7.500. Man muss sich in diese Zeit zurückversetzen, um das Lebenswerk unseres hochverehrten Bürgermeisters Kieviet wirklich beurteilen zu können. Aus den Anfängen eines Bades bei seinem Amtsantritt hat er durch seine Initiative, seinen Weitblick, seine von weittragender Bedeutung durchdachten Ratschläge für den Gemeinderat und seiner Verwaltung das Nordseeheilbad geschaffen. Das ist ein Werk 40 Jahre langer, emsiger und verantwortungsbewusster Arbeit zum Segen unserer Inselbevölkerung, ja, zum Segen unserer Volksgesundheit überhaupt.
Alles, was wir heute als selbstverständlich hinnehmen: das Wasserwerk, das Kanalwerk, E-Werk, Kurmittelhaus, Wandelhalle, die Bürgermeister-Kieviet-Promenade, die festen Badehallen, die Kuranstalt, die Volks- und Mittelschule, das Rathaus, die gepflasterten Straßen – welche ja wesentliche Voraussetzungen für die Entwicklung unseres Bades überhaupt haben, sind unter der Ära des Bürgermeisters Kieviet erbaut worden. Dieses Aufbauwerk ist durch nichts zu mindern, auch nicht dadurch, dass wir heute an dem einen wie anderen zeitbedingte Korrekturen vornehmen müssen.
Meine Damen, meine Herren, ich möchte am heutigen Tage vor Ihnen die Feststellung nochmals ganz besonders unterstreichen und herausstellen, dass wir, mit diesem „wir” meine ich alle, die nach Bürgermeister Kieviet auf dem Rathaus oder sonst in der Öffentlichkeit für die Allgemeinheit gewirkt haben und tätig waren, haben von ihm, dem 1. Bürgermeister unserer Insel, ob als Bad oder Gemeinde gesehen, ein fertiges Werk übernommen. Wir haben nur die Verpflichtung, dieses Werk zu erhalten und im Verlauf und Wechsel der Zeit zu unterhalten.
Meine Damen, meine Herren, auch schon während seiner 40-jährigen Tätigkeit hat man die Verdienste des Bürgermeisters Kieviet gesehen und durch Ehrungen bewürdigt. Schon seine Geburtstage bekamen durch die Anteilnahme der Bevölkerung einen besonderen Rahmen. Sein 25-jähriges Dienstjubiläum war nicht nur ein Ehrentag für ihn und seine Familie, sondern ein Ehrentag für die ganze Gemeinde. Dieses bezeugten die herzlichen Glückwünsche aus der gesamten Bürgerschaft.
Leider fiel dieser Ehrentag in das Jahr 1917, in die Zeit des unglückseligen Weltkrieges 1914 – 1918, welcher einen dunklen Schatten von Kummer und Sorgen auf unsere Insel legte. Die Wirtschaft stand still, alle Blicke richteten sich fragend auf das Oberhaupt der Gemeinde. „Was wird aus uns, aus unserer Existenz, aus unserem Bad?” Von ihm erwarteten sie alle die Initiative zur Wende zum Besseren. Er hat sie nicht enttäuscht. Die Bürde des Krieges hinter sich gebracht, kamen die Nachkriegssorgen mit all ihren Begleiterscheinungen – Inflation, Notgeld, eine vollständig darniederliegende Bäderwirtschaft usw. – auf ihn zu. Herr Bürgermeister Kieviet hat auch diese turbulente Zeit gemeistert. Als kluger Kommunalpolitiker und genialer Unterhändler hat er, im Wege der Verhandlungen mit den dafür zuständigen Staats- und Regierungsstellen, die Privatwirtschaft sowie die Gemeinde entschuldet.
Die Mühe und Arbeit, die diesem Erfolg voraufgegangen ist, kann man nicht hoch genug bewerten. Diese Mühe und Arbeit hat es auch erst ermöglicht, auf privatem wie auf dem Gemeindesektor der Bäderwirtschaft wieder Auftrieb zu geben. Neben dem Nachholbedarf an Instandsetzungs- und Renovierungsarbeiten wurde das E-Werk, die festen Badehallen und die Strandpromenade gebaut. Letztere trägt den Namen Bürgermeister-Kieviet-Promenade zur Ehre und zum Dank dieses verdienstvollen Mannes.
Am 22. Juni 1932 trat Herr Bürgermeister Kieviet, seine Lebensaufgabe erfüllt, nach 40-jährigem, arbeitsreichem Leben in den wohlverdienten Ruhestand. In der Abschiedsstunde im Rathaus standen wir in tiefem Nachdenken diesem großen Kommunalfachmann, diesem großen Menschen, der vorbildlich war in seiner einfachen und schlichten Lebensführung, in seiner Härte gegen sich selbst, nochmal gegenüber. Viele von Herzen kommende Glück- und Segenswünsche sind ihm für seinen Lebensabend mit auf den Weg gegeben. Seinen eigenen Abschiedsschmerz, nun von der Stätte seines 40-jährigen Wirkens zu scheiden, konnte ihm leider niemand abnehmen.
Dann kam eine schlimme Zeit, die auch unserem Bürgermeister Kieviet eine klaffende Wunde schlug. Menschen, die einem großen Irrtum verfallen waren, versuchten seinen Namen auszulöschen. Die Bürgermeister-Kieviet-Promenade wurde in Adolf-Hitler-Promenade umgetauft, aus dem Sitzungssaal und seinem Arbeitszimmer im Rathaus wurden seine Bilder entfernt und durch andere ersetzt.
1945 war das 1000-jährige Reich des Irrtums am Ende. Das begangene Unrecht an unserem verehrten Bürgermeister Kieviet wurde gelöscht. Wir haben wieder eine Bürgermeister-Kieviet-Promenade und seine Bilder hängen wieder auf dem Rathaus als Mahner und Vorbild.
Am 12. März 1948 auf seinem Geburtstag hatte ich die Ehre, auf einstimmigem Beschluss des Rates Herrn Bürgermeister Kieviet die Urkunde als Ehrenbürger unserer Insel und der Stadt Borkum zu überreichen. Es war ein Freudentag für ihn und für unsere ganze Insel. Es war die Krönung der Verehrung unseres Altbürgermeisters Tönjes Kieviet. So groß diese Freude war, noch größer war das Leid, das dieser allzu schnell folgte. Am 25. August 1948 schloss Bürgermeister Kieviet für immer die Augen. Ein Herz für Borkum hatte aufgehört zu schlagen. Hier in der Wandelhalle, an seiner Lieblingsstätte aufgebahrt, fand unter großer Anteilnahme der Bevölkerung eine erhebende Trauerfeier statt. Von hier aus gaben wir einem großen Borkumer, einem Stück Borkum, unserem verehrten Altbürgermeister Kieviet das letzte Geleit.
Hier in der Wandelhalle wollen wir, auf Beschluss des Rates, ihm heute in Form eines Reliefs von der Bildhauerin Fräulein Hoffmann aus Essen gearbeitet, ein Denkmal weihen. Für uns und für alle, die nach uns kommen als Vorbild und Verpflichtung.
Hiermit übergebe ich Ihnen, meine Damen und Herren, und damit der Öffentlichkeit das Denkmal und Ihnen, Herr Dr. Speer, als Kurdirektor es zu treuen Händen und Pflege.
Als Vorbild in seiner einfachen Lebensführung, als weiser Ratgeber und unermüdlicher Arbeiter und Lenker der Geschicke unserer Insel, wird Tönjes Kieviet in den Herzen der Borkumer weiterleben.