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Der Stadtdirektor (bis 1950 Gemeindedirektor) war das Amt des Hauptverwaltungsbeamten im zweigleisigen Verwaltungssystem. Er wurde meist für eine Amtszeit von 12 Jahren vom Rat berufen und war als Leiter der Stadtverwaltung verantwortlich für die laufenden Verwaltungsgeschäfte. Mit der Umsetzung der Eingleisigkeit im Jahr 2005 wurde das Amt mit dem des Bürgermeisters vereinigt, der seitdem hauptamtlich tätig ist und direkt von der Bevölkerung gewählt wird. Der letzte Stadtdirektor war Gerhard Müller (CDU), der das Amt über 30 Jahre innehatte.
Im Zuge der Beseitigung nationalsozialistischen Rechts änderte die britische Militärregierung zum 1. April 1946 die Deutsche Gemeindeordnung und entmachtete das alleinherrschende Amt des Bürgermeisters. Sie führte die der britischen Rechtstradition entstammende Zweigleisigkeit und damit das Amt des Gemeindedirektors als Hauptverwaltungsbeamten ein. Dem Bürgermeister kam fortan lediglich der Vorsitz des Rates sowie politische und repräsentative Verantwortung zu.1 In den ersten nach dem Krieg verfassten Entwürfen für eine Hauptsatzung trug das Amt noch die inoffizielle Bezeichnung „Gemeindesekretär“.
Auf der Sitzung des Rates am 31. Mai wurden mehrere vorliegende Bewerbungen gesichtet und drei Bewerber in die engere Auswahl aufgenommen. Nach geheimer Wahl setzte sich der ehemalige Marineoffizier Fritz Brosinsky mit 9 Stimmen gegen Paul Nowak (5 Stimmen) und Wilhelm Kruse (1 Stimme) durch.2 Am 1. Juni trat er den Dienst kommissarisch bis zur Bestätigung durch die Militärregierung an. In dieser Funktion war er auch Wahlleiter der ersten Wahl zum Rat der Gemeinde am 15. September.3 Mit Schreiben vom 4. Oktober teilte die Militärregierung mit, Brosinsky aufgrund seiner militärischen Tätigkeit als Fregattenkapitän im Krieg keine Genehmigung zur Ausübung des Amtes zu erteilen. Brosinsky legte vor dem Gnadenausschuss in Aurich Berufung gegen die Ablehnung ein. Bürgermeister Fritz Klennert setzte bis zur Entscheidung über die Berufung Paul Nowak, Gastwirt und Ratsherr der SPD, mit dem 28. Oktober geschäftsführend ein. Die kommissarische Stelle wurde erneut vakant als Nowak am 4. Mai 1947 in Folge eines Schlaganfalls verstarb. Klennert beauftragte vorläufig den Angestellten und stellvertretenden Standesbeamten Anton Byl mit der Wahrnehmung der Geschäfte und setzte eine außerordentliche Sitzung des Rates für die Neuwahl des Gemeindedirektors an.
In der Sitzung am 22. Mai erklärte Klennert, dass die erneute Bewerbung Brosinskys aufgrund dessen schwebenden Entnazifizierungsverfahrens nicht berücksichtigt wurde. Die zur Wahl stehende engere Auswahl bestand aus dem Volkswirt Dr. Theodor Speer und dem Landesinspektor Ernst Sterra. Die Personalkommission und der Betriebsrat plädierten im Vorfeld mehrheitlich für Speer. Er wurde einstimmig für eine Amtszeit von 12 Jahren zum Gemeindedirektor berufen.4 Der Rat bestand, aufgrund der dringlichen Stellenbesetzung, erfolgreich darauf, dass Speer die Stelle bereits zwei Tage später, am 24. Mai, antreten durfte. Der Leeraner Landrat Hans Windels verfügte allerdings, dass Speer bis zum Abschluss der politischen Prüfung die Amtsbezeichnung „kommissarischer Gemeindedirektor“ zu führen habe. Speer wurde am 14. November vom Entnazifizierungsausschuss des Kreises Leer einstimmig entlastet. Am 3. Februar 1948 wandte sich Speer mit einem persönlichen Brief an den Landrat, da die endgültige Genehmigung zunächst ausblieb und Speer aufgrund der ungewissen Zukunft seines Amtes mit dem Gedanken spielte, anderweitige ihm angebotene Stellen anzunehmen. Der Niedersächsische Minister des Innern, Hinrich Kopf, bestätigte ihn schließlich am 15. April offiziell im Amt.
Der Hauptentnazifizierungsausschuss Leer teilte Fritz Brosinsky am 26. Oktober mit, dass gegen ihn nach ausführlicher Prüfung aufgrund seiner politischen Vergangenheit keine Bedenken für das Amt erhoben werden. In einem anwaltlichen Schreiben vom 6. Dezember forderte Brosinsky seine Wiedereinstellung als Gemeindedirektor oder die Einstellung in eine vergleichbare Position. Vertreten durch den Rechtsanwalt Bernhard van Scharrel berief er sich auf das bereits begonnene Arbeitsverhältnis. Die Gemeinde Borkum lehnte die Forderung ab und vertrat den Standpunkt, dass darauf kein Rechtsanspruch bestehe. Dieser Ansicht schloss sich der Landrat an.
In Folge der Ernennung der Gemeinde Borkum zur Stadt führte der Amtsträger ab dem 1. Mai 1950 die Bezeichnung „Stadtdirektor“. Am 23. Januar 1953 wurde Speer ebenfalls zum Kurdirektor gewählt und führte seitdem die Bezeichnung „Kur- und Stadtdirektor“.
Am 9. März 1967 beschloss der Rat Speer zum 1. Juli in den Ruhestand zu versetzen. Speer hatte zuvor aufgrund von Dienstunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen selbst den Antrag dafür gestellt.5 Der Landkreis genehmigte den Verzicht auf eine Ausschreibung und stattdessen die Wahl Speers bisherigen langjährigen Stellvertreters Erich Heinemann für die Stelle. Die Stelle des Kurdirektors wurde neu ausgeschrieben, aber von Heinemann zunächst kommissarisch wahrgenommen. Die aufgrund des Flugzeugabsturzes vom 27. Juni stark angeschlagene Stadtverwaltung konnte keine gewöhnliche Amtsübergabe gewährleisten. Heinemann trat die Nachfolge am 1. Juli an und erhielt seine Ernennungsurkunde im kleinen Kreis des Verwaltungsausschusses.6 Speer wurde erst in der Ratssitzung vom 19. September von Bürgermeister Dode Beckmann offiziell verabschiedet. Heinemann wurde von Hans Beutz, dem Auricher Regierungspräsidenten, mit Wirkung vom 1. September zum Strandvogt ernannt und trat damit ebenfalls die Nachfolge Speers an.7
Im Zuge der Aufarbeitung der Unterschlagungsaffäre bei der Stadt Borkum entzog der Rat Heinemann am 22. Mai 1970 einstimmig das Vertrauen und forderte ihn auf, das Amt niederzulegen. Ihm wurde vorgeworfen, dem Rat Prüfungsberichte vorenthalten, Mängel nicht beseitigt, Verwaltungsvorschriften missachtet und die Dienstaufsicht nicht erfüllt zu haben. Heinemann räumte Fehler ein, wies allerdings den Vorwurf des Vorsatzes zurück. Am nächsten Morgen wurde Heinemann aus gesundheitlichen Gründen ins Krankenhaus nach Westerstede geflogen und fiel deshalb für längere Zeit aus.8 Die Vertretung übernahm zunächst Horst Bath von der Stadtverwaltung, da Heinemanns eigentlicher Vertreter, aufgrund eines laufenden Disziplinarverfahrens zur Unterschlagungsaffäre, nicht dazu befugt war. Anfang Juni bemühte sich der Rat der Stadt darum, Kreisoberrat Hartmut Mawick kommissarisch für das Amt zu gewinnen, da dieser mit den Belangen Borkums besonders vertraut sei. Oberkreisdirektor Peter Elster kam der Bitte nach und stellte Mawick dafür frei.9 Da die Abordnung allerdings auf Dauer nicht aufrechterhalten werden konnte, verfügte Regierungspräsident Beutz am 8. Juli den Samtgemeindedirektor der Samtgemeinde Stickhausen, Karl-Heinz Wodtke, mit der Führung der Geschäfte zu beauftragen. Er begann die Arbeit am 1. August und zeichnete mit „Der Stadtdirektor (m. d. W. d. G. b.)“.
In der Ratssitzung am 27. Januar 1971 sollte eine Entscheidung über die Zukunft des Amtes getroffen werden. Die SPD-Fraktion bevorzugte, die Stelle regulär auszuschreiben in der Hoffnung, es würden sich ortsansässige Personen bewerben. Die CDU-Fraktion sprach Wodtke das Vertrauen aus und erklärte große Zufriedenheit mit seinen bisherigen Leistungen. Der Rat stimmte am Ende mit 11 Stimmen und 3 Gegenstimmen dafür, von einer Ausschreibung abzusehen.10 Am 11. Februar wurde Wodtke schließlich vom Rat mit 11 Ja-Stimmen, einer Nein-Stimme und einer Enthaltung für 12 Jahre berufen.11 Um die Neubesetzung der Stelle zu ermöglichen, wurde Heinemann zum 1. April, dem Amtszeitbeginn Wodtkes, in den Ruhestand versetzt.12
Im Februar 1974 bewarb sich Wodtke erfolgreich um die Stelle des Stadtdirektors in der Stadt Syke13. Die Borkumer Zeitung berichtete im Mai erstmals über „erhebliche Differenzen“ zwischen Mitgliedern des Rates, vor allem Bürgermeister van Dyken, und Stadtdirektor Wodtke.14 Die Stelle wurde neu ausgeschrieben und die Bestimmung eines Nachfolgers für eine Ratssitzung am 10. Dezember angesetzt. Der Rat wählte den Bewerber Gerhard Müller, bisher Abteilungsleiter des Wolfsburger Bauverwaltungsamts, für eine Amtszeit von 6 Jahren. Am 23. Dezember wurde Wodtke von Mitgliedern des Rats und Bürgermeister van Dyken verabschiedet und seine Leistungen anerkennend gewürdigt.15 Zum 1. Januar begann seine Amtszeit in Syke. Die Vertretung im Dezember und Januar übernahm der stellvertretende Stadtdirektor Wilhelm Schnier. Gerhard Müllers Amtszeit begann am 1. Februar 1975. Er wurde zwei Male für jeweils zwölfjährige Amtszeiten wiedergewählt.16
Am 6. März 1996 reformierte die Niedersächsische Landesregierung das Kommunalrecht. Sie führte in Kommunen die Eingleisigkeit ein, gewährte den amtierenden Stadtdirektoren aber eine Übergangsfrist. Die Geschäfte der laufenden Verwaltung wurden auf den nun direkt gewählten Bürgermeister übertragen, der ab dieser Zeit hauptamtlich arbeitete.17 Zum 1. Juli 2005 wurde Stadtdirektor Müller in den Ruhestand versetzt. Er wurde am 27. Juni in der Kulturinsel vor den Bediensteten der Stadt und weiteren geladenen Gästen, darunter Landrat Bramlage, verabschiedet.18 Nachfolgerin wurde die Gewinnerin der Bürgermeisterwahl 2005, die damals parteilose Einzelbewerberin Kristin Mahlitz. Ihre Amtszeit begann am 1. Juli, womit die Zweigleisigkeit auf Borkum beendet und das Amt des Stadtdirektors abgeschafft wurde.
Gerhard Müller
Karl-Heinz Wodtke
Erich Heinemann
Theodor Speer
Grundlage: Die Textstellen stützen sich, sofern keine anderweitige Quelle angegeben ist, auf Schriftverkehr zwischen Gemeinde, Landkreis und Regierungsbezirk (In: NLA AU, Rep. 32, Nr. 46).
Verordnung Nr. 21 vom 01.04.1946 (In: Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Britisches Kontrollgebiet, Nr. 7/1946)
Sitzungsprotokoll des Rates vom 31.05.1946
Sitzungsprotokoll des Rates vom 08.10.1946
Sitzungsprotokoll des Rates vom 22.05.1947
Borkumer Zeitung und Badezeitung, 14.03.1967
Borkumer Zeitung und Badezeitung, 03.07.1967
Borkumer Zeitung und Badezeitung, 18.09.1967
Borkumer Zeitung und Badezeitung, 25.05.1970
Borkumer Zeitung und Badezeitung, 04.06.1970
Sitzungsprotokoll des Rates vom 27.01.1971
Sitzungsprotokoll des Rates vom 11.02.1971
Aktenvemerk über Personalie des Stadtdirektors (In: NLA AU, Rep. 32, Nr. 55)
Borkumer Zeitung und Badezeitung, 12.02.1974
Borkumer Zeitung und Badezeitung, 16.05.1974
Borkumer Zeitung und Badezeitung, 24.12.1974
Bloem, Holger: Scheiden tut weh. (In: Ostfriesland Magazin, Nr. 6/2005)
Beschluss: Stenographischer Bericht des Niedersächsischen Landtags vom 06.03.1996, Bekanntmachung: Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Nr. 16/1996 (27.08.1996)
Borkumer Zeitung und Badezeitung, 28.06.2005
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